Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
sich sicher, dass diese junge Frau einen solchen Schritt niemals getan hätte, doch wo sich die Rache mit der Habgier verband, konnten die Folgen schrecklich sein.
»Hallo, Mar«, sagte er.
Sie antwortete nicht.
»Ehrlich gesagt, bis gestern hätte ich nicht gedacht, dich unter solchen Umständen wiederzusehen.«
»Nicht?« Ihr Ton war hart, bitter. »Wir alle machen Fehler, Herr Inspektor.«
»Da hast du recht. Mein Fehler war, dem Schein zu vertrauen. Deiner, zu denken, du könntest auf eigene Faust für Gerechtigkeit sorgen und nebenher auch noch profitieren.« Héctor schaute sie fest an: »Auch wenn ich zu deiner Verteidigung sagen kann, dass ich manches verstehe. Was du in der Wohnung deines Bruders vorgefunden hast, muss ein entsetzlicher Anblick gewesen sein. Zu sehen, dass Gaspar seine Frau und seine Tochter getötet und sich dann erschossen hatte, es hätte jeden um den Verstand gebracht. Auch die Nachricht zu lesen, die er geschrieben hatte, muss für dich traumatisch gewesen sein. Und dann hast du auf dem Computer unter anderem das Foto mit den Hunden gefunden.«
Sie blieb stumm, abwartend, aber er ließ ihr keine lange Pause.
»Ich will dir zugestehen, dass du die Nachricht in guter Absicht an dich genommen hast. So konnten deine Eltern immer noch denken, ihr Sohn hätte dieses grauenhafte Verbrechen nicht begangen. Du hast sie eingesteckt, aber dann wurde es für dich zu einer Obsession. Auch weil Gaspar darin nicht alles erzählte, stimmt’s? Ich weiß noch nicht, was drinstand, aber ich nehme an, es ging um einen Mord in Garrigàs, auf dem Rückweg, nachdem sie die Hunde, die auf dem Foto zu sehen sind, begraben hatten, einen Mord unter Beihilfe der anderen, deren Namen er zumindest nannte. Hätte er es detailliert beschrieben, hättest du dich nicht an Sara Mahler wenden müssen. Du hast sie auf Gaspars Beerdigung kennengelernt, nicht wahr?«
Sie wandte den Blick ab, konnte eine flüchtige Zustimmung aber nicht unterdrücken.
»Arme Sara …«, sagte Héctor. »Sie war zurückhaltend, diskret, und zugleich sehnte sie sich nach Zuwendung. Und du gabst dich als das, was du damals warst. Eine junge Frau, deren Bruder auf tragische Weise ums Leben gekommenwar, eine Frau ohne Arbeit und in der gegenwärtigen Situation auch ohne Perspektive. Du sagtest ihr, du hättest Gaspars Nachricht gefunden und versteckt, um deiner Familie nicht einen noch größeren Schmerz zuzufügen. Und Sara, die einen Vater hatte, der sie nicht mochte, war gerührt und vertraute dir.«
Mar verschloss sich weiter in ihrem düsteren Schweigen, und Héctor fuhr fort:
»Sara hat dir Geschenke gemacht, hat Geld ausgegeben für Abendessen und andere Dinge, weil sie dich irgendwann liebgewonnen hatte und weil sie, wie alle, jemanden brauchte, mit dem sie sprechen konnte. Nicht nur von dem, was geschehen war, auch von sich selbst und von der Firma, sogar von Amanda und ihrer sexuellen Neigung. Außerdem hatte sie, wenn es auf das Thema Garrigàs kam, nicht das Gefühl, jemanden zu verraten: Du hattest sie davon überzeugt, dass du ein Geheimnis, von dem du ohnehin schon etwas wusstest, bewahren würdest, nicht um der Beteiligten willen, sondern deinen Eltern zuliebe, und so hast du ihr nach und nach alle übrigen Informationen entlockt. Schließlich musste sie denken, du hättest auch ein Recht, es zu wissen. Nur eine Sache, eine einzige, weigerte sie sich zu verraten: was sie mit den Leichen gemacht hatten.«
Der Inspektor machte eine Pause. Es gab so viel, was er nicht wusste, was er bloß ahnte, was er aus dieser jungen Frau herausbekommen musste, die bereit schien, für immer zu schweigen.
»Wie ist es gewesen, Mar? Hast du versucht sie zu überreden, dir bei der Erpressung zu helfen?« Noch am Morgen hatte er mit Víctor Alemany gesprochen, und der Inhaber der Kosmetikfirma hatte ihm von seiner seltsamen Begegnung mit Sara in Sílvias Büro am Abend des Weihnachtsessens erzählt. »Hast du ihr gesagt, ihr beide hättet Besseres verdient? Eine handfeste Belohnung für euer Schweigen?«
Mar Ródenas zuckte die Achseln.
»Warum nicht?«, sagte sie schließlich. »Das war das Einzige, was sie mir geben konnten.«
»Aber Sara konnte es nicht. Nein, sie wäre nicht in der Lage gewesen, ihre Leute zu verraten. Sie hat sich nicht getraut, das Foto mit den Hunden in Sílvias Büro zu legen.«
»Sara hatte kein bisschen Ehrgeiz!«, platzte es aus ihr heraus.
»Nein«, sagte Héctor. »Sara war loyal, auch wenn sie
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