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Der einzige Sieg

Der einzige Sieg

Titel: Der einzige Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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es mit dem richtigen Zielfernrohr hell genug zum Schießen war, aber der Nebel verringerte die Sicht trotzdem auf weniger als hundert Meter. Er zog die daunengefütterte Polarjacke zu, zitterte leicht vor Kälte und ging langsam zum Hirschgehege hinunter. An der nächstgelegenen Futterstelle schreckte eine Gruppe von Hirschkühen und Kälbern auf, als er sich näherte. Die Leitkuh ließ einen Warnlaut hören, worauf alle wie Schatten im Nebel verschwanden. Ihre Schritte waren in dem matschigen Schnee zunächst deutlich zu hören, erstarben dann aber bald. Vielleicht waren sie auch stehengeblieben, um zu lauschen. Er prüfte mechanisch, aus welcher Richtung der Wind kam, und ging dann, gegen den Wind, auf die Mitte des Geheges zu. Dort befand sich ein mit Kiefern bewachsener Hügel, von dessen Kuppe man eine weite Aussicht auf ein paar halb mit Schnee bedeckte Felder mit Futterkohl und Futterpflanzen hatte. Er nahm sich vor, von dort eine Zeitlang nach den kapitalen Hirschen Ausschau zu halten; obwohl es seine Tiere waren, hatte er bisher kaum Zeit gehabt, sich mit ihnen vertraut zu machen.
    Er wußte jedoch sehr wohl, daß es nicht darum ging. Das war nicht der Grund, weshalb er sich an diesem Weihnachtsmorgen davongestohlen hatte. Es kam ihm vor, als wollte er seine Rechtfertigung einüben oder wahr machen oder zumindest dafür sorgen, daß er absolut glaubwürdig lügen oder, noch besser, lügen konnte, ohne zu lügen.
    Es ging jetzt um etwas ganz anderes: Einsamkeit, sein unwiderstehliches Bedürfnis nach Einsamkeit. Er wollte einige Zeit ohne Verstellung oder Theater zubringen. Åke und er hatten ein ganzes Weihnachtsfest lang Theater gespielt, an zwei sehr langen Tagen, an denen alles plötzlich und auf Kommando der Frauen mit militärischer Präzision hatte organisiert werden sollen. Was sie auch getan hatten. Sie hatten Lebensmittel und Getränke für ein ganzes Weihnachtsfest eingekauft und in weniger als fünf Stunden im Kofferraum ihrer Wagen verstaut. Danach war den Männern nur noch geblieben, in den Wald zu gehen und einen Weihnachtsbaum zu fällen. Tessie und Anna hatten es so entschieden, an Widerspruch war nicht zu denken. Wie hätten sie widersprechen sollen? Åke hatte vermutlich das gleiche Bedürfnis wie er selbst, sofort weit weg zu reisen, sehr weit weg zu einem warmen Meer mit weißen Stranden, Palmen und Piña coladas in Plastikgläsern, wohin auch immer, nur nicht an einen Ort, an dem Schnee lag.
    Irgendwohin, wenn es nur ein Gegensatz zu der Polarnacht war, aus der sie vor kurzem gekommen waren.
    Widerspruch war also unmöglich gewesen. Sie hatten ja nur einen langweiligen Routineauftrag in dem kalten nördlichen Finnland hinter sich, nichts Besonderes. Vor allem war es weder gewalttätig noch gefährlich gewesen, und jetzt hatten sie es hinter sich.
    Er hatte Åke sehr sorgfältig beobachtet, als dieser seine Lügen erzählte, und war überzeugt, daß Åke es umgekehrt genauso gehalten hatte. Keiner von ihnen hatte mit einer Miene oder auch nur einer kleinen Andeutung etwas von dem ahnen lassen, was die Wahrheit hinter dem langweiligen Routineauftrag war.
    Doch jetzt stand er hier, allein in der Morgendämmerung, und blickte auf leere weiße Felder voller Schneematsch und brauchte keine Maske mehr. Richtiger, er durfte keine Maske mehr haben. Jetzt würde er sie abreißen und zu verstehen versuchen, was er sah.
    Die Weltgeschichte hatte auch andere Menschen erlebt, die genau das gleiche getan hatten wie sie selbst. Das war jedoch kein Trost, sondern gerade das unabweisbare Problem: Diese Menschen, Männer ihres Alters und mit vergleichbaren militärischen Dienstgraden, Männer von vielleicht dem gleichen Aussehen und auf jeden Fall aus dem gleichen Kulturkreis, hatten schwarze Uniformen getragen und das Totenkopf-Emblem an den Schirmmützen.
    Sie hatten die gleichen Dinge getan. Wenn man es ganz konkret betrachtete, hatten er und Åke die gleichen Dinge getan wie manche SS-Verbände. Sie hatten wehrlose Menschen systematisch ermordet, ihnen die Kleider ausgezogen und sie in der polaren Kälte dann noch ein paar Stunden steif frieren lassen, um sie mit der Motorsäge leichter zerstückeln zu können. Anschließend hatten sie ein großes Feuer gemacht und…
    Insoweit waren sie nicht besser als manche SS-Verbände, insoweit war mit Ausnahme der Uniformsymbole alles gleich.
    Er sah die Bilder vor sich. Es war kein Traum. Er konnte alles sehr deutlich vor sich sehen, als hätte sich ihm jedes

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