Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
bloßes Gebäude wäre. Wer gibt den in ihm Versammelten ein gemeinsames Gepräge? Offenbar das Gefängnis, da sie nur mittelst des Gefängnisses Gefangene sind. Wer bestimmt also die Lebensweise der Gefängnis-Gesellschaft? Das Gefängnis! Wer bestimmt ihren Verkehr? Etwa auch das Gefängnis? Allerdings können sie nur als Gefangene in Verkehr treten, d. h. nur so weit, als die Gefängnis-Gesetze ihn zulassen; aber daß sie selbst, Ich mit Dir, verkehren, das kann das Gefängnis nicht bewirken, im Gegenteil, es muß darauf bedacht sein, solchen egoistischen, rein persönlichen Verkehr (und nur als solcher ist er wirklich Verkehr zwischen Mir und Dir) zu verhüten. Daß Wir gemeinschaftlich eine Arbeit verrichten, eine Maschine ziehen, überhaupt etwas ins Werk setzen, dafür sorgt ein Gefängnis wohl; aber daß Ich vergesse, Ich sei ein Gefangener, und mit Dir, der gleichfalls davon absieht, einen Verkehr eingehe, das bringt dem Gefängnis Gefahr, und kann von ihm nicht nur nicht gemacht, es darf nicht einmal zugelassen werden. Aus diesem Grunde beschließt die heilige und sittlich gesinnte französische Kammer, die »einsame Zellenhaft« einzuführen, und andere Heilige werden ein Gleiches tun, um den »demoralisierenden Verkehr« abzuschneiden. Die Gefangenschaft ist das Bestehende und – Heilige, das zu verletzen kein Versuch gemacht werden darf. Die leiseste Anfechtung der Art ist strafbar, wie jede Auflehnung gegen ein Heiliges, von dem der Mensch befangen und gefangen sein soll.
Wie der Saal, so bildet das Gefängnis wohl eine Gesellschaft, eine Genossenschaft, eine Gemeinschaft (z. B. Gemeinschaft der Arbeit), aber keinen Verkehr , keine Gegenseitigkeit, keinen Verein. Im Gegenteil, jeder Verein im Gefängnisse trägt den gefährlichen Samen eines »Komplotts« in sich, der unter begünstigenden Umständen aufgehen und Frucht treiben könnte.
Doch das Gefängnis betritt man gewöhnlich nicht freiwillig und bleibt auch selten freiwillig darin, sondern hegt das egoistische Verlangen nach Freiheit. Darum leuchtet es hier eher ein, daß der persönliche Verkehr sich gegen die Gefängnisgesellschaft feindselig verhält und auf die Auflösung eben dieser Gesellschaft, der gemeinschaftlichen Haft, ausgeht.
Sehen Wir Uns deshalb nach solchen Gemeinschaften um, in denen Wir, wie es scheint, gerne und freiwillig bleiben, ohne sie durch Unsere egoistischen Triebe gefährden zu wollen.
Als eine Gemeinschaft der geforderten Art bietet sich zunächst die Familie dar. Eltern, Gatten, Kinder, Geschwister stellen ein Ganzes vor oder machen eine Familie aus, zu deren Erweiterung auch noch die herbeigezogenen Seitenverwandten dienen mögen. Die Familie ist nur dann eine wirkliche Gemeinschaft, wenn das Gesetz der Familie, die Pietät oder Familienliebe, von den Gliedern derselben beobachtet wird. Ein Sohn, welchem Eltern und Geschwister gleichgültig geworden sind, ist Sohn gewesen ; denn da die Sohnschaft sich nicht mehr wirksam beweist, so hat sie keine größere Bedeutung, als der längst vergangene Zusammenhang von Mutter und Kind durch den Nabelstrang. Daß man einst in dieser leiblichen Verbindung gelebt, das läßt sich als eine geschehene Sache nicht ungeschehen machen, und insoweit bleibt man unwiderruflich der Sohn dieser Mutter und der Bruder ihrer übrigen Kinder; aber zu einem fortdauernden Zusammenhange käme es nur durch fortdauernde Pietät, diesen Familiengeist. Die Einzelnen sind nur dann im vollen Sinne Glieder einer Familie, wenn sie das Bestehen der Familie zu ihrer Aufgabe machen; nur als konservativ halten sie sich fern davon, an ihrer Basis, der Familie, zu zweifeln. Eines muß jedem Familiengliede fest und heilig sein, nämlich die Familie selbst, oder sprechender: die Pietät. Daß die Familie bestehen soll, das bleibt dem Gliede derselben, solange es sich vom familienfeindlichen Egoismus frei erhält, eine unantastbare Wahrheit. Mit Einem Worte –: Ist die Familie heilig, so darf sich Keiner, der zu ihr gehört, lossagen, widrigenfalls er an der Familie zum »Verbrecher« wird; er darf niemals ein familienfeindliches Interesse verfolgen, z. B. keine Mißheirat schließen. Wer das tut, der hat »die Familie entehrt«, hat ihr »Schande gemacht« usw.
Hat nun in einem Einzelnen der egoistische Trieb nicht Kraft genug, so fügt er sich und schließt eine Heirat, welche den Ansprüchen der Familie konveniert, ergreift einen Stand, der mit ihrer Stellung harmoniert u. dergl., kurz er »macht der
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