Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
Tages indessen reicht der Arm der Familiengewalt selten weit genug, um den Abtrünnigen ernstlich in Strafe zu nehmen (selbst gegen Enterbung schützt der Staat in den meisten Fällen). Der Verbrecher an der Familie (Familien-Verbrecher) flüchtet in das Gebiet des Staates und ist frei, wie der Staatsverbrecher, der nach Amerika entkommt, von den Strafen seines Staates nicht mehr erreicht wird. Er, der seine Familie geschändet hat, der ungeratene Sohn, wird gegen die Strafe der Familie geschützt, weil der Staat, dieser Schutzherr, der Familienstrafe ihre »Heiligkeit« benimmt und sie profaniert, indem er dekretiert, sie sei nur – »Rache«: er verhindert die Strafe, dies heilige Familienrecht, weil vor seiner, des Staates, »Heiligkeit« die untergeordnete Heiligkeit der Familie jedesmal erbleicht und entheiligt wird, sobald sie mit dieser höhern Heiligkeit in Konflikt gerät. Ohne den Konflikt läßt der Staat die kleinere Heiligkeit der Familie gelten; im entgegengesetzten Falle aber gebietet er sogar das Verbrechen gegen die Familie, indem er z. B. dem Sohne aufgibt, seinen Eltern den Gehorsam zu verweigern, sobald sie ihn zu einem Staatsverbrechen verleiten wollen.
Nun, der Egoist hat die Bande der Familie zerbrochen und am Staate einen Schirmherrn gefunden gegen den schwer beleidigten Familiengeist. Wohin aber ist er nun geraten? Geradesweges in eine neue Gesellschaft , worin seines Egoismus dieselben Schlingen und Netze warten, denen er soeben entronnen. Denn der Staat ist gleichfalls eine Gesellschaft, nicht ein Verein, er ist die erweiterte Familie . (»Landesvater – Landesmutter – Landeskinder.«)
Was man Staat nennt, ist ein Gewebe und Geflecht von Abhängigkeit und Anhänglichkeit, ist eine Zusammengehörigkeit, ein Zusammenhalten, wobei die Zusammengeordneten sich ineinander schicken, kurz gegenseitig voneinander abhängen: er ist die Ordnung dieser Abhängigkeit. Gesetzt, der König, dessen Autorität Allen bis zum Büttel herunter Autorität verleiht, verschwände, so würden dennoch Alle, in welchen der Ordnungssinn wach wäre, die Ordnung gegen die Unordnung der Bestialität aufrechterhalten. Siegte die Unordnung, so wäre der Staat erloschen.
Ist dieser Liebesgedanke aber, sich ineinander zu schicken, aneinander zu hängen, und voneinander abzuhängen, wirklich fähig, Uns zu gewinnen? Der Staat wäre hiernach die realisierte Liebe , das Füreinandersein und Füreinanderleben Aller. Geht über den Ordnungssinn nicht der Eigensinn verloren? Wird man sich nicht begnügen, wenn durch Gewalt für Ordnung gesorgt ist, d. h. dafür, daß Keiner dem Andern »zu nahe trete«, mithin, wenn die Herde verständig disloziert oder geordnet ist? Es ist ja dann Alles in »bester Ordnung«, und diese beste Ordnung heißt eben – Staat!
Unsere Gesellschaften und Staaten sind , ohne daß Wir sie machen , sind vereinigt ohne unsere Vereinigung, sind prädestiniert und bestehen oder haben einen eigenen, unabhängigen Bestand , sind gegen Uns Egoisten das unauflösliche Bestehende. Der heurige Weltkampf ist, wie man sagt, gegen das »Bestehende« gerichtet. Man pflegt dies jedoch so zu mißverstehen, als sollte nur, was jetzt besteht, mit anderem, besserem Bestehenden vertauscht werden. Allein der Krieg dürfte vielmehr dem Bestehen selbst erklärt sein, d. h. dem Staate (status), nicht einem bestimmten Staate, nicht etwa nur dem derzeitigen Zustande des Staates; nicht einen andern Staat (etwa »Volksstaat«) bezweckt man, sondern seinen Verein , die Vereinigung, diese stets flüssige Vereinigung allen Bestandes. – Ein Staat ist vorhanden, auch ohne mein Zutun: Ich werde in ihm geboren, erzogen, auf ihn verpflichtet und muß ihm »huldigen«. Er nimmt Mich auf in seine »Huld«, und Ich lebe von seiner »Gnade«. So begründet das selbständige Bestehen des Staates meine Unselbständigkeit, seine »Naturwüchsigkeit«, sein Organismus, fordert, daß meine Natur nicht frei wachse, sondern für ihn zugeschnitten werde. Damit er natürwüchsig sich entfalten könne, legt er an Mich die Schere der »Kultur«; er gibt Mir eine ihm, nicht Mir, angemessene Erziehung und Bildung, und lehrt Mich z. B. die Gesetze respektieren, der Verletzung des Staatseigentums (d. h. Privateigentums) Mich enthalten, eine Hoheit, göttliche und irdische, verehren usw., kurz er lehrt Mich – unsträflich sein, indem Ich meine Eigenheit der »Heiligkeit« (heilig ist alles Mögliche, z. B. Eigentum, Leben der Andern usw.)
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