Der eiserne Gustav
ein Anhäufer von Geld und meinte, seine Kinder müßten erst Geld verdienen, ehe sie Geld ausgaben. Aber die Zeiten hatten sich geändert, oder die Menschen hatten sich geändert, oder es war auch nur das alte Gesetz von Ebbe und Flut: Nach dem Hochstand kam Niedrigwasser. Die neue Generation interessierte aufgehäuftes Geld gar nicht, es war etwas Totes, Sinnloses, ja, Widersinniges! Geld war dazu da, um es auszugeben; Geld, das bloß dalag, war dumm!
So entzückt die Tochter des wohlhabenden Mannes der kleine Schatz im Gegengewicht der Hängelampe, den sie mit tausend schmählichen Kniffen und Pfiffen gesammelt hat. Langsam läßt sie die neuen zehn Goldfüchse auf die anderen fallen, das gibt einen leisen, sanften Klang, der sie berauscht. Aber nicht Klang noch Geld berauschen sie, es berauscht sie der Gedanke an das, was sie von diesem Gelde kaufen kann: Freiheit und ein seidenes Kleid, Genuß und einen neuen Hut.
Aufatmend bringt sie die Lampe wieder in Ordnung, setzt dann vor dem viel zu kleinen Spiegel (der Vater duldet keinen größeren) ihren Stroh-Florentiner auf und geht in die Küche.
»Gib mir Geld, Mutter, ich will einkaufen.«
Die Mutter sitzt in einem großen Stuhl am Herd, mechanisch rührt sie aus der Ferne mit einem langstieligen Löffel in einem großen Kochtopf. Alles an der Mutter hängt: Bauch, Brust, Backen – selbst die Unterlippe hängt. Am Fenster steht Bruder Otto, er dreht verlegen mit den Fingern an seinem dünnen, flaumigen Bärtchen.
»Was willst du denn einkaufen, Evchen?« fragt die Mutter klagend. »Wir haben doch alles zum Mittag. Aber du willst nur wieder rumlaufen!«
»Gar nicht!« sagt Eva, und ihre eben noch so strahlende Stimmung wird bei den tausendfach gehörten Klagelauten der Mutter sofort wieder gereizt und böse. »Gar nicht! Aber du hast selbst gesagt, Mutter, wir wollen heute abend Matjes mit Pellkartoffeln essen, und wenn ich die Matjes nicht heute früh hole, sind sie alle.«
Beides ist nicht wahr, weder hat die Mutter Matjes fürs Abendessen angesetzt, noch entleert sich der Berliner Markt bis zum Nachmittag gänzlich der Matjesheringe. Aber Eva weiß längst, daß es nicht darauf ankommt, was man der Mutter entgegenhält, sondern daß man ihr überhaupt widerspricht. Dann gibt sie sofort nach.
So auch jetzt. »Ich sage ja gar nichts, Evchen. Meinswegen kannst du gehen! Wieviel brauchst du denn? Is ’ne Mark genug? Du weißt doch, Vater will deine Lauferei nicht haben …«
»Dann muß Vater uns eben einen Botenjungen halten!«
»Ach Gott, Evchen, sage doch bloß das nicht! So ein fremder Bengel im Haus, und überall schnüffelt er herum, und nichts kann man offen liegenlassen, alles kommt weg …«
Sie bricht ab und wirft einen halb verlegenen, halb hilfeflehenden Blick auf den stummen Sohn am Fenster.
Statt seiner sagt Eva: »Ach, du meinst wegen Erich, Mutter? Hab dich man nur nicht so! – Der ist besorgt, den läßt Vater nicht eher aus dem Keller, bis er ganz kusch ist.«
»Aber er kann doch nicht – Tage und Wochen …«, sagt die Mutter hilflos. Wieder sieht sie zu dem Sohn hinüber. »Sag du doch ein Wort, Ottchen! Du meinst doch auch …«
»Habe ich das Geld genommen?« ruft Eva und dünkt sich sehr klug. »Jeder muß seine eigene Suppe ausfressen, da kann ich ihm nicht helfen.«
»So bist du immer gewesen, Eva!« ruft die Mutter, aber nur kläglich. »Bloß an dich hast du immer gedacht! Du sagst, Erich hat Geld genommen – aber wieviel Schmugeld hast du bei den Einkäufen …?«
»Ich …«, fängt Eva an, völlig verblüfft, daß die Mutter klüger gewesen ist, als sie geglaubt hat.
Aber bei der ist der schwache Zorn schon wieder vorüber. »Ich gönne es dir ja, Kind«, ruft sie weinend. »Du sollst doch auch etwas von deinem Leben haben! Aber sieh mal, Evchen«, fängt sie schmeichelnd an, »wenn ich dich nicht verrate, könntest du auch was für Erich tun …«
»Ich habe kein Geld genommen«, protestiert Eva für alle Fälle, »ich tu so was nicht.«
»Siehst du, Evchen, du bist doch nun mal Vaters Liebling, bei dir drückt er eher mal ein Auge zu. Wenn du in den Keller gingst und Erich freiließest? Otto sagt, die Schlösser schlägt man leicht mit Meißel und Hammer entzwei …«
»Und warum geht dann nicht der große Otto in den Keller und läßt Erich frei, wenn er so klug ist? Und warum gehst du nicht selber, Mutter? Du bist doch die Mutter! Nein, daraus wird nichts. Ich soll eure Dumme sein – aberdas bin ich nicht!
Weitere Kostenlose Bücher