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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Hindersinstraße, das überlistete Automobil schoß geradeaus weiter, der Schimmel machte noch zehn, fünfzehn Galoppsprünge, fiel in Trab, in Schritt …
    Hackendahl merkte, daß ihn der Geheimrat von hinten am Arm riß. »Sie sollen anhalten, Kerl! Verstehen Sie nicht?!« schrie der Alte, kirschrot vor Wut.
    Hackendahl hielt an.
    »Verzeihen Sie, Herr Geheimrat«, rief er aus. »Der Schimmel ist mir durchgegangen. Das Automobil hat ihn wild gemacht, der Chauffeur hat das mit Absicht getan!«
    »Wettraserei!« sagte der alte Herr noch immer zitternd. »Alte Leute, und Wettfahrten!« Er stieg aus, mit zitternden Knien. »Wir sind das letzte Mal zusammen gefahren, Hackendahl. Schicken Sie mir Ihre Rechnung. Schämen sollten Sie sich!«
    »Aber ich kann nicht dafür! Nicht das frömmste Pferd hielte das aus!«
    Ein Hupenschrei erscholl. Von vorn kam das Automobil, das triumphierende Scheusal aus Lack und Eisen, das den Häuserblock umrundet hatte. Der abgekämpfte Schimmel stand mit hängendem Kopf, er rührte sich nicht, selbst als das Auto neben ihm hielt.
    »Sie sagen, das Pferd!«rief der Geheimrat. »Aber das Pferd steht doch! Nein, Sie haben um die Wette rasen wollen, Hackendahl, nur Sie …«
    Hackendahl sagte nichts mehr, mit trübem Blick, mit gesenktem Kopf sah er den Geheimrat zu dem lächelnden Sohn in das Auto steigen. Schwer war zu tragen, was alles Gott einem rechtlichen Manne auferlegte!

14

    Eine halbe Stunde lang hatte Frau Hackendahl mit Stemmeisen, Hammer und Zange an dem Vorlegeschloß zur Kellertür gearbeitet, sie hatte die Krampe krumm geschlagen, den Bügel verbogen, sich die Finger verletzt – aber das Schloß hatte sie nicht aufbekommen.
    Nun saß sie erschöpft und verzweifelt auf einer Treppenstufe; in der Ferne, durch zwei Türen hindurch, meinte sie, den gefangenen Sohn rufen zu hören. Aber er rief umsonst, sie konnte nicht zu ihm. Wenn sie sich vorstellte, daß sie um ein nutzlos verdorbenes Schloß den schwersten Sturm bei ihrem Manne heraufbeschworen hatte, so erfaßte sie eine immer stärkere Verzweiflung.
    So wie hier war es ihr in ihrem ganzen Leben ergangen: keine schlechten Vorsätze, nicht einmal weniger Mut als jeder andere, aber es gelang ihr nichts. Ihre Ehe war ihr nicht gelungen, ihre Kinder waren nicht so geworden, wie sie erhofft hatte, sie hatte das Schloß nicht aufbekommen.
    Sie warf einen Blick auf dieses ekelhafte Eisenschloß. Jawohl, man hätte einen Schlosser holen können, aber man zeigte einem Fremden nicht die Schmach im eigenen Hause. Sie hätte auf den Hof gehen und an der Kellerluke horchen können – aber an allen Fenstern konnten Nachbarn sitzen und lachen, es ging wiederum nicht. Das Leben war so zugebaut, man konnte dem eigenen Mann nicht sagen, was einem zum Überdruß an ihm mißfiel. Und wenn man es ihm sagte, so hörte er nicht, und wenn er hörte, so änderte er sich nicht. Das Leben war so ausweglos, immer dasselbe, es war nicht zu ertragen, keinesfalls, und man ertrug es doch!
    Man wurde dick und alt dabei, das Essen schmeckte meistens – und dann war da das Blödeste von allem, diese kleine unsinnige Hoffnung im Herzen, es könnte doch noch einmal anders werden. In diesem alten, verbrauchten, überquellenden Körper saß noch genau dieselbe Hoffnung wie in dem jungen Mädchen. Nie, nicht ein einziges, klimperkleines Mal hatte sie sich erfüllt, aber sie war da, hartnäckiger als je, sie flüsterte: Wenn du das Schloß aufbekommst und Erich frei ist, wird vielleicht doch noch alles anders!
    Idiotisch – aber es war so. Es war nur dies alberne Schloß zwischen ihr und einem anderen, besseren Leben, wie es immer nur eine ganze Kleinigkeit gewesen war, die sie nicht zum Genuß ihres Daseins hatte kommen lassen. Das war das Allerschlimmste: Es waren stets nur Kleinigkeiten gewesen, niemals eine große Tragödie.
    Auch ihrem Erich war kein anderes Los gefallen, über ein paar Mark sollte er zu einem halben Verbrecher und heimatlos werden, um eine Kleinigkeit. Das Leben war so erschreckend eng, es geschah rein gar nichts, wenn ein Mädel in der Nachbarschaft ein Kind kriegte, so sprach man viele Jahre davon. Kleine Leute, kleine Schicksale – sie hatte einen ungeheuer aufgeschwemmten Leib, aber der Kern in ihr, das, was sie selbst war, das war noch genau so groß wie damals, als sie eine ganz junge Auguste gewesen war, der war nicht mit gewachsen.
    Sie sitzt da auf ihrer Kellertreppe, sie sieht das Schloß an, und dann schaut sie in ihren Schoß.

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