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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Ungerechtigkeit, jede Gemeinheit freisprechen. – Aber es ist immerhin eine bemerkenswerte Wandlung bei dir, mein Sohn, ich sehe jede Stunde, es geht wirklichetwas vor im deutschen Menschen. Der verknöchertste Parteifunktionär, wandelt sich. Und es ist nicht bloß Hurra-Patriotismus. Möge es dauern, Erich. Und mögen sie die Stunde nicht versäumen. Vielleicht kommt sie nie wieder!«

15

    Die Obertertia tobte. Schon vor fünf Minuten hatte es zum Unterrichtsbeginn nach der großen Pause geläutet, aber kein Lehrer hatte sich bisher sehen lassen. Das kam in diesen ersten Wochen und Monaten nach Kriegsbeginn häufig vor. Weit über die Hälfte der Lehrerschaft war eingezogen worden, mit ein paar kümmerlichen Hilfslehrern (dienstuntauglichen) suchte man den Unterricht durchzuführen.
    Die Jungen genossen die ungewohnte Freiheit mit vollen Zügen. Der Ausbruch des Krieges, der siegreiche Vormarsch der Truppen in Belgien, in Frankreich, alle diese Erfolge hatten ihnen einen nicht zu bändigenden Übermut gegeben. Ohne sich darüber klar zu sein, fühlten sie sich als die Vertreter einer Nation, die alle Völker der Erde besiegte, sie waren die Söhne und die Brüder von Helden. Wenn geflaggt wurde, wenn schon wieder die Glocken läuteten: Lüttich gefallen, Antwerpen eingeschlossen – so war das ihr Stolz, ihr Erfolg, ihr Sieg!
    Der blasse, bebrillte Hilfslehrer aus dem Klassenzimmer nebenan steckte seinen Kopf flehend durch die Tür. »Jungen! Jungen!!«
    »Seid doch mal still! Da will wer was!«
    »Mein Bruder hat geschrieben, in einem Keller haben sie so viel Weinfässer gefunden …«
    »Jungen! Meine Herren!«
    »Seid doch mal still …«
    »Sie haben einfach die Böden von den Fässern eingehauen …«
    »Ruhe! sage ich. Ruhe!!« Der Hilfslehrer war zornrot.
    »Unterrichten Sie denn jetzt bei uns, Herr – Professor?«
    »Nein, aber ich möchte nebenan unterrichten. Und bei dem Krach, den ihr macht, ist das einfach unmöglich!«
    »Hier macht doch keiner Krach!«
    »Wer macht denn hier Krach? Ich nicht! Du etwa?«
    »Sie machen hier allein Krach, Herr Professor!«
    »Krach! Krach! Ist hier vielleicht einer, der Krach heißt?«
    »Ihr solltet euch was schämen. Jungen! Ihr wollt deutsche Jungen sein?! Ein deutscher Junge gehorcht, wenn ihm etwas befohlen wird. Nur durch Gehorsam lernt man Befehlen!«
    Aber der Unselige hatte sich völlig im Ton vergriffen, jetzt wurden sie bösartig.
    »Sie haben uns gar nichts zu befehlen!«
    »Warum sind Sie überhaupt nicht an der Front?«
    »An der Front dürfen Sie befehlen!«
    »Wer nicht kriegsdienstfähig ist, der hat gar nichts zu sagen!«
    »Untaugliche haben das Maul zu halten!«
    Der Hilfslehrer wurde kreideweiß. »Schämen …«, murmelte er. »Es ist häßlich …«
    Er machte ein paar Schritte zum Pult, besann sich, drehte sich rasch um und verließ eilig die Klasse.
    Einen Augenblick herrschte betretenes Stillschweigen, ein wenig schämten sie sich doch.
    Dann rief eine grobe, im Stimmwechsel begriffene Stimme: »Der Deutsche sagt: Auf Wiedersehen – nicht adieu!«
    Erstes Gelächter.
    »Gott strafe England!« schrie ein anderer.
    Zweites Gelächter.
    »Und die Arschpauker!«
    Tosendes Gelächter!
    Ein paar fingen an zu singen, das Lied, das damals in aller Munde war, das Rachelied, das Zornlied: »Was schiert uns Russe und Franzos? Schuß wider Schuß und Stoß um Stoß!«
    Mehr und mehr sangen es. Bis zu dem Kehrreim, den siealle gemeinsam schmetterten, über die Bänke gelümmelt, mit den Pultdeckeln Takt schlagend, an den Klassenschrank gelehnt: »Wir haben alle nur einen Feind: England!«
    »Ich bitte um Ruhe«, sagte eine leise, aber sehr deutliche Stimme vom Lehrerpult her.
    Dort stand ihr Professor, jetzt der richtige, beim Gesang war er unbemerkt eingetreten. Ein älterer Mann mit hoher gebuckelter Stirn, die bläulichweiß glänzte, zurückgekämmt eine Mähne von rotflammendem Haar, in das sich schon graue Strähnen mengten. Die blauen Augen leuchteten. Professor Degener, Lehrer des Lateinischen und Griechischen, eigentlich ein Männchen Ende der Fünfzig, mit Spitzbauch und ziemlich lächerlich gekleidet.
    »Auf eure Plätze!«
    Sie schoben sich verlegen durch die Gänge, sie grobsten sich halblaut an: »Mach doch Platz, Schafskopf!«.
    »Selber Schafskopf, schlaf bloß nicht ein.«
    »Das gibt noch was!«
    »Au Backe, wenn ich noch mal Karzer fasse, kriege ich das Konsilium!«
    »Degener hat einen Rochus!«
    »Die Klasse hat sich schmählich

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