Der eiserne Gustav
etwas Todeswürdiges. – Ich sagte dir wohl schon mal, daß du eigentlich ein Rebell bist«, setzte er hinzu. »Du wirst immer gegen jeden Zwang antoben, bis zur eigenen Vernichtung.«
»Ich kann aber jetzt die Schnauze halten, Herr Doktor!« rief Erich stolz. »Man kann alles, wenn die Sache es lohnt! Ich denke immer: Ein Vierteljahr werden wir nur ausgebildet, dann kommen wir doch an die Front und können kämpfen!«
»Vielleicht werdet ihr noch eher herauskommen, Erich. England hat uns jetzt auch den Krieg erklärt, weißt du es schon?«
»England auch?« rief der Junge bestürzt. »Aber warumdenn? Unsere Vettern, gleichen Blutes, und der Kaiser ist ganz nahe mit denen verwandt! Warum denn?«
»Weil wir die belgische Neutralität verletzt haben. Sagen sie. Und das haben wir ja auch wirklich getan.«
»Aber England«, rief der Junge, »hat sich hundertmal in seiner Geschichte über Verträge hinweggesetzt! Es hat nie ein Papier geachtet, wenn es um ein Lebensrecht seines Volkes ging! Und jetzt ging es um unser Lebensrecht!«
»Sie sagen Christentum, und sie meinen Kattun!« zitierte der Abgeordnete, trübe lächelnd. »Sie sagen belgische Neutralität, und sie meinen unsere Flotte, unsere Kolonien!«
»Aber England besitzt fast ein Fünftel der Welt – was zählen da unsere paar Kolonien?«
»Ein reicher Mann ist nie reich genug. Wir werden es schwer bekommen, Erich. Sei dir klar, daß fast die ganze Welt Deutschland haßt.«
»Aber warum? Wir wollten doch in Frieden leben …«
»Weil wir zwiespältig sind. Weil sie uns nie verstehen. Sie wollen uns immer verstehen, aber Deutschland, mein Sohn, kann man nicht verstehen. Deutschland muß man lieben oder hassen.«
»Ja«, rief der Junge, »jetzt weiß ich wieder, warum ich hierherkam. Ich habe doch recht behalten, Herr Abgeordneter, Herr Mitglied des Reichstages, Herr Sozialdemokrat! Auch Sie lieben Deutschland – Sie haben doch für die Kriegskredite gestimmt, alle, einer wie der andere!«
»Ja«, gab der Abgeordnete fast verlegen zu. »Wir haben diesen Krieg gebilligt. Die Rede des Reichskanzlers war kläglich. Wenn er uns die Wahrheit gesagt hat, so hat er uns nicht die volle Wahrheit gesagt. Vieles blieb unklar …«
»Sie haben mit Ja gestimmt!«
»Österreichs Haltung ist zwiespältig. Der Kaiser redet von Nibelungentreue, aber der, dem wir zu Hilfe kamen, hat heute noch nicht an Rußland den Krieg erklärt. Die Herren in Wien möchten ihren kleinen Strafkrieg gegen Serbien führen, und wir dürfen uns für sie mit der Welt herumschlagen!«
»Und doch haben Sie ja gesagt!«
»Weil wir Deutschland lieben, jawohl, Erich. Es sind unendliche Fehler gemacht worden, vom Kaiser, von diesem philosophierenden Kanzler – von allen. Aber man läßt ein Kind nicht wegen Fehlern im Stich, man verläßt auch nicht seine Mutter … Wir haben mit Ja gestimmt. Wir konnten gar nicht anders. Das ganze Volk sagt ja, Erich. Und wir wollten auch nicht anders. Hoffentlich, hoffentlich sind unsere Regierenden im Kriege anders, als sie im Frieden waren …«
»Es wird alles anders«, sagte Erich.
Der Abgeordnete sah zweifelhaft darein. »Sie schleifen euch auf dem Kasernenhof wie früher, Erich. Sie werden sich auch in den Regierungsstuben nicht ändern. Erich, jetzt geht
ein
Wille durch das Volk,
ein
Glaube,
ein
Zusammenhalt! Wenn sie diese Stunde nicht nützen, wenn sie sich nicht ohne Dünkel in die Front eingliedern – wenn auch diese Gelegenheit ungenützt verstreicht, dann, Erich, kommt eine schreckliche Zeit. Dann bricht alles auseinander, dann ist es ganz vorbei mit ihnen. Heute glaubt alles an Deutschland, liebt alles Deutschland, aber wenn sie diesen Glauben, diese Liebe verlieren – was dann? Vielleicht nie wieder!«
»Wir werden ihn nicht verlieren«, sagte Erich. »Sie können uns schleifen, sie mögen dünkelhaft sein: Sie zählen ja nicht! Es sind bloß ein paar. Wenn ich sie auf dem Kasernenhofe schreien höre, denke ich immer, es ist mein Vater. Es ist seine Art zu brüllen, es sind seine Ausdrücke. Ich habe das so gehaßt, es war mir so unerträglich geworden, daß ich mich oft schon beim Klang seiner Stimme schüttelte!«
Er hielt einen Augenblick inne, dann sagte er leise: »Jetzt denke ich manchmal: Er kann auch nicht anders. Er ist so geworden. Im Grunde liebt er uns – auf seine Art!«
Der Abgeordnete schüttelte leicht den Kopf. »Das ist eine Entschuldigung, die
wir
nicht annehmen können, Erich. So könnte man jede
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