Der eiserne Tiger
folgte ihm.
Die Zeit hatte jede Bedeutung für ihn verloren. Drummond setzte ganz automatisch einen Fuß vor den anderen. Bald hatten sie den Hang bewältigt und kämpften sich über eine ganz flache, tiefverschneite Ebene vorwärts. Auf halbem Wege mußten sie eine Pause einlegen, so erschöpft waren sie.
Die Dunkelheit war aus den Bergen geflohen. Der neue Tag brach an. Trübes, graues Morgenlicht überzog den Himmel. Schwere Wolken hingen bedrohlich über ihnen. Es würde bald wieder schneien. Sie kämpften sich mühselig aus dem Tiefschnee heraus und gelangten in ein dünn besätes Waldstück, das in den Talgrund hinabführte.
Drummond lutschte an einem Stück Eis. Es schmolz in seinem Munde, war kühl und erfrischend. Die Flüssigkeit rann durch seine Kehle hinab. Er fühlte sich etwas gestärkt. Wie in Trance humpelte er den Hang hinunter.
Er erschrak zutiefst, als er wieder zu sich kam und sah, daß er im Schnee lag. Er hatte auch Schnee im Mund, der sich eiskalt anfühlte. Er spürte Hamids Fuß in seiner Seite und hörte die völlig entkräftete Stimme seines Freundes.
»Steh auf, Jack. Mir fehlt es an Kraft, dich hochzuziehen.«
Damit wandte er sich ab. Mit fast übermenschlicher Anstrengung gelang es Drummond, wieder auf die Beine zu kommen und hinter ihm herzustolpern. Mit gesenktem Kopf setzte er einen Fuß vor den anderen. Jeder Schritt war eine Qual. Wieder verlor er jedes Gefühl für Zeit. Plötzlich hörte er einen Schrei.
Hamid war zwanzig oder dreißig Meter vor ihm auf einer kleinen Anhöhe stehengeblieben und rief ihm mit ganz seltsamer, gebrochener Stimme etwas zu. Drummond rannte humpelnd auf ihn zu. So rasch er konnte. Als er auf der Anhöhe angelangt war, stolperte Hamid schon auf das Camp in der darunter gelegenen Mulde zu. Dort befanden sich fest verankerte, mit einem Schützengraben umgebene Feldgeschütze. Versorgungslaster standen hinter den tiefverschneiten Hütten.
Männer kamen auf sie zugelaufen. Männer in vertrauten Uniformen mit Khakiturbanen. Manche ritten auf Mulis. Als sie Hamid erreichten, übergab dieser den Jungen vorsichtig einem großen, bärtigen Sikh. Hamid drehte sich um, sah Drummond an, machte einen zögernden Schritt auf ihn zu und fiel mit dem Gesicht nach unten in den Schnee.
Da sank auch Drummond zu Boden. Salzige Tränen liefen ihm übers Gesicht und brannten wie Feuer auf den aufgesprungenen Wangen. Die Soldaten kamen auf ihn zu - auch er war gerettet.
In der Hütte war es warm. Mit einer Decke um die Schultern saß er vor dem Ofen und schlürfte langsam heißen Tee. Er hielt den Becher mit beiden Händen umfaßt. Nach einer Weile kam ein junger Feldwebel von der Sanitätstruppe, ein Mann aus Bengalen, aus dem Nebenzimmer herein.
»Wie geht es ihm?« erkundigte sich Drummond nach seinem Freund.
»Gut«, erwiderte der Feldwebel. »Er ist vor Erschöpfung eingeschlafen.«
»Und was ist mit dem Jungen?«
»Der ißt gerade im Offizierscasino, wenn man es so nennen will.« Der Feldwebel lachte. »Dem geht es überhaupt glänzend. Anscheinend waren die letzten Tage für ihn ein einziges Abenteuer. Noch etwas Brandy?«
Drummond nickte und hielt ihm seinen Becher hin. »Wann kommt Ihr Einheitsführer zurück?«
»Er müßte eigentlich bald wieder hier sein. Der Hauptbefehlsstand liegt nur drei Meilen entfernt, aber bei dem Schnee sind wir natürlich auf Packesel angewiesen.«
Da öffnete sich die Tür, und ein eiskalter Windstoß fegte herein. Der junge Leutnant Singh erschien. »Major Naru kommt, Mr. Drummond.«
»Dem Himmel sei Dank!«
Drummond erhob sich und humpelte ans Fenster. Der Major kam auf einem Muli angeritten, eskortiert von zwei einfachen Soldaten. Sie stiegen ab. Der Major kam die Treppe herauf. Er klopfte sich den Schnee von dem Parka. Der Leutnant öffnete ihm die Tür. Der Major, ein großer, gutaussehender Mann mit gestutztem Schnurrbart, kam herein und trat sofort ans Feuer.
»Mr. Drummond?« Er zog seine Handschuhe aus und reichte Drummond die Hand. »Es ist mir eine Freude, Sie hier begrüßen zu dürfen, Sir.«
»Und Sie können mir glauben, daß ich mich freue, hier zu sein«, erwiderte Drummond. »Hat Ihnen Leutnant Singh alles erzählt?«
Der Major nickte. »Ja, über den Feldfernsprecher. Wo ist denn Major Hamid?«
»Er schläft nebenan. Er hat in den letzten beiden Tagen mehr geleistet als normalerweise zwei Männer
Weitere Kostenlose Bücher