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Der eiserne Wald

Der eiserne Wald

Titel: Der eiserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Howard
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Raum, der nicht leer war.
    Volltreffer.
    Zee hatte sich eng zusammengerollt, neben ihr lag ausgestreckt ihre Mutter. Wegen der Hitze hatte keine der beiden sonderlich viel an, und so konnte ich sofort sehen, dass Frost Zee ziemlich übel zugerichtet hatte. Aber da war noch irgendetwas anderes, was nicht stimmte. Ich sah zu, wie sich ihre Brust hob und senkte, und bei jedem Atemzug hörte ich das gurgelnde Geräusch, das entsteht, wenn im Inneren alles zu eng wird.
    Ich konnte es kaum glauben.
    Sie war in diesem Haus eingesperrt, fernab vom Staub. Aber dieses Keuchen war unverwechselbar. Nur verkrustete Lungen produzieren ein solches Geräusch.
    Dann stach mir wie eine bunte Flamme das Tattoo der Mutter ins Auge. Ich kroch näher heran und studierte aufmerksam die Wurzeln und Zweige, die sich über den Körper der Frau zogen. Und dabei fiel mir im Laub des Baumes etwas auf, das mir vorher entgangen war. Auf jedem Blatt stand eine Zahl. Eine ziemlich lange Zahl in winzigen, schwarzen Ziffern.
    Zee wurde blinzelnd wach und starrte mich an. Sie riss erstaunt die Augen auf, dann erschien ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht. Lautlos hob sie eine Tasche vom Boden auf und schlich zu mir herüber. Und die ganze Zeit über strahlte sie, als befände ich mich nicht gerade am schrecklichsten Ort auf Erden.
    Wir liefen verstohlen die Treppe hinunter und schlichen auf Zehenspitzen durch den Flur, immer begleitet von Frosts schnaufendem Schnarchen. Crow, der immer noch sang, war weiter hinten im Haus und hantierte mit Töpfen und Pfannen. Endlich erreichten wir die Veranda und rannten um das Haus herum, nach vorne zur Straße.
    Zee grinste immer noch, während wir zum Wagen hetzten, obwohl ich hören konnte, wie ihre geschädigte Lunge sie angestrengt keuchen ließ. Meine Schuhe, die nach wie vor an meinem Hals hingen, hüpften, tanzten und schlugen mir ins Gesicht. Dabei musste ich die ganze Zeit daran denken, dass Crow bestimmt alle Zimmer kontrollieren und deshalb Zees Fehlen bald bemerken würde.
    Und dass es, wenn das geschah, kein Zurück mehr geben würde.

Kapitel 6
    D ie Straßen waren ziemlich leer, als ich uns durch die Nacht kutschierte, immer Richtung Osten, wo der Ozean lag. Wir ließen die Stadt und die weitläufigen Barackensiedlungen hinter uns, und bald stammten die einzigen Lichter von vereinzelten Siedlungen oder dem spärlichen Gegenverkehr.
    Je näher man der Küste kommt, desto öder wird alles. Das ist schon seit Ewigkeiten so. Schon vor langer Zeit haben die Leute aufgehört, zu dicht bei der Brandung zu bauen, da sie fürchteten, der Boden könnte wegbrechen und ins Wasser rutschen. Deshalb war es riskant, dort hinauszufahren, man wusste nie, wann das Land brüchig wurde und ganze Klippen verschwanden.
    »Schläfst du immer mit deiner Mom in diesem Zimmer?«, fragte ich voller Angst, dass Crow Zees Verschwinden bemerken könnte.
    »Nicht immer«, erklärte sie. »Aber sie kann dann besser schlafen.« Immer wieder hatte sie die Kamera genommen und Fotos gemacht, aber sie waren alle verschwommen und schwarz. Sie stopfte die Bilder in die Tasche, die zu ihren Füßen stand.
    Ich beobachtete die alte Steinstraße, wie sie unter dem Wagen entlangglitt. »Und was meinst du, wie oft Crow hochkommt und nach euch sieht?«, fragte ich weiter, weil mich der Gedanke einfach nicht losließ.
    »Hin und wieder mal.«
    Krampfhaft versuchte ich mir vorzustellen, dass Crow eingeschlafen war und nun vor sich hin schnarchte. Für den gesamten Rest der Nacht. Ich meine, man muss doch positiv denken. Das hätte Pa in dieser Situation gesagt.
    Ich schaltete den CD -Player ein, der auf dem Armaturenbrett stand, und verpasste ihm die sechs Stöße, die er brauchte, um die Disc abzuspielen, die im Gehäuse feststeckte. Die Musik beruhigte mich ein wenig. Ich sprang zu einem der letzten Lieder, das vom Tod, Blumen und einem Mädchen namens Susie handelte. Mein Dad hatte dazu immer auf das Lenkrad getrommelt, und gemeinsam hatten wir den Refrain gegrölt.
    »And I won’t forget to put roses on your grave.«
    Da sollte er besser schwere Rosen basteln, hatte Pa immer gescherzt. Sonst würden die Leute sie nur klauen.
    Unvermittelt starrte ich auf die Tasche vor Zees Füßen – die Tasche mit den Fotos. Gleichzeitig dachte ich an das Bild in meiner Tasche, an meinen alten Herrn in Ketten.
    Ruckartig trat ich das Gaspedal durch.
    *
    Knapp zwei Stunden später wusste ich, dass wir es fast geschafft hatten. Ich erkannte es an dem

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