Der Elfenthron - Brennan, H: Elfenthron
aber in der Zwischenzeit hatten sie eine Gewerkschaft gegründet, sodass sich jede Reform als unmöglich erwies. Stolz marschierten sie, wobei sie leise in ihren prächtigen roten Uniformen sangen, neben ihm her durch das Labyrinth unter dem Purpurpalast, das zum neuen Hauptquartier des Geheimdienstes führte. Henry seufzte. Wenigstens kosteten sie kein Fährtensucher-Gold. Und sie brauchten kein Essen.
Der Spiegelsaal im Zentrum des Labyrinths machte ihn leicht schwindlig und ein Zombie legte ihm freundlich stützend die Hand auf den Arm. Kurz schloss Henry die Augen vor den vielfältigen Spiegelungen und wartete darauf, dass er angekündigt wurde: »Der Kaiserliche Prinzgemahl Henry, Eure Ladyschaft«, flüsterte der Zombie mit einer Stimme, die wie trockenes Laub raschelte. Die Spiegelungen waren verschwunden, ebenso wie die Zombies, und er stand in einer geräumigen, mit antiken Möbeln eingerichteten Kammer. Madame Cardui, die etwas Buntes und Durchsichtiges trug, schwebte ihm mit einem strahlenden Lächeln entgegen.
»Henry, mein Lieber!«, rief sie aus, während sie ihn umarmte. Sie hatte gerade ein Kopfpeeling hinter sich, besaß nun rabenschwarzes Haar und das Gesicht einer Fünfundzwanzigjährigen, aber der Körper unter ihrem Gewand war schmal und zart wie Vogelknochen. Er küsste sie sanft und ließ sie dann los.
»Culmella ist verschwunden«, sagte er, ohne sich mit irgendwelchen Floskeln aufzuhalten.
Die Hand des Zombies klebte immer noch unbemerkt an seinem Arm. Madame Cardui wischte sie weg und sie glitt zu Boden, wo sie zu Staub zerfiel. »Das habe ich schon gehört – man redet im ganzen Palast davon«, sagte sie. »Meine Agenten arbeiten schon daran, oberste Priorität.« Sie sah hinter ihn. »Ist Kaiserin Blue mitgekommen?«
Henry ging zu einem der Sessel. »Sie ist außer sich. Offensichtlich. Absolut außer sich. Der Palastarzt hat ihr ein Beruhigungsmittel gegeben. Ich habe versprochen, mich um alles zu kümmern.« Er sah sich vage um. »Bis sie sich anders entscheidet, natürlich, wahrscheinlich heute Nachmittag.«
»Bereits heute Vormittag, um die Wahrheit zu sagen«, Madame Cardui lächelte ein wenig. »Sie hat mich gleich heute früh zu sich gebeten.«
Das war typisch für Blue, die wichtige Angelegenheiten nie jemand anderem anvertrauen konnte. Henry hatte schon vor langer Zeit aufgehört, das persönlich zu nehmen. »Tja, in der Zwischenzeit können wir den Ball ins Rollen bringen«, sagte er leichthin.
Madame Cardui ließ sich elegant auf einer Trägerwolke nieder und stützte sich auf einen Ellbogen. »Arme Blue. Kinder können manchmal eine solche Last sein.« Sie lächelte aufmunternd. »Und auch ein Segen.« Das Lächeln verblasste. »Ich fürchte, Mella kommt ganz nach ihrer Mutter. Als Blue jünger war, neigte sie zu den gefährlichsten Eskapaden. Bevor du sie getroffen hast, natürlich: Du hast einen sehr stabilisierenden Einfluss auf sie gehabt.«
Henry war sich da keineswegs so sicher, aber er wollte sich auf das Dringendste konzentrieren. »Glauben Sie, es ist so etwas? Eine Eskapade?«
»Ich glaube, das ist am wahrscheinlichsten. Du kennst ja Mella. Es ist nicht das erste Mal, dass sie weggelaufen ist.«
»Aber es ist das erste Mal, dass sie
Lethe
gegen uns eingesetzt hat«, fügte Henry säuerlich hinzu. Das war das, was ihn besonders beunruhigte.
Lethe
kegel waren mächtige Magie, mächtig und teuer, besonders die aufwendige Ausführung, die bestimmte Erinnerungen auslöschte und die gegen Blue und ihn verwendet worden war. Wenn Mella sie tatsächlich eingesetzt hatte, dann musste es etwas für sie besonders Wichtiges gewesen sein und nicht bloß irgendein spontaner Einfall. Aber angenommen, es war gar nicht Mella gewesen,wer war es dann? Angenommen, es war jemand anderes? »Können wir eine Entführung ausschließen?«
»Man kann gar nichts ausschließen«, sagte Madame Cardui trocken. »Ich denke, es ist am wahrscheinlichsten, dass sie weggelaufen ist, aber eine klug eingefädelte Entführung könnte so angelegt sein, dass wir genau das denken
sollen
.«
»Es hat bislang keine Forderung gegeben«, sagte Henry. »Bei einer Entführung hätte ich inzwischen mit einer gerechnet.«
»Falls es sich um ein finanzielles Motiv handelt.«
Henry runzelte die Stirn. »Welches andere Motiv könnte es denn geben?«
Madame Cardui warf ihm einen starren Blick zu. »Ein politisches.«
»Ahhh«, sagte Henry. Er blickte weg und kaute auf seiner Lippe. »Sie denken an
Weitere Kostenlose Bücher