Der Engel von Santa Marguerita
Arlene ist auch tot.“
Sie schrie nicht und tat nichts, aber in ihren Augen stand ein beinahe irrsinniges Erschrecken. Endlich sagte sie: „Sie ist auch tot? Chess! Ist sie auch — ermordet worden?“
„Nein. Sie hat sich selbst mit Zyankali vergiftet.“
„Mit Zyankali?“
Ich sah, wie die Gedanken in ihr arbeiteten und hielt beinahe den Atem an.
„Mit Zyankali? Aber — Chess! Lynn sagte mir vor einiger Zeit, aus dem Labor sei Zyankali gestohlen worden! Und gestern früh war in seinem Kaffee welches drin! Chess, — das — das ist doch nicht möglich?“
„Sie hat einen Brief geschrieben. Lynn, so schreibt sie, würde sie niemals heiraten, und deshalb hätte sie ihn und sich umgebracht.“
Andy saß eine Weile ganz still, dann fuhr sie sich mit der Hand über die Stirn.
„Arme Arlene!“ sagte sie leise. „Arme Arlene. Wenn ich das geahnt hätte.“
„Was geahnt?“
„Daß sie es so tragisch nehmen würde. Lynn hatte es mir nämlich gesagt, daß Arlene sich Hoffnungen machen würde. Aber Lynn, ja, er mochte sie sehr gern, aber er sagte mir, zu einer Ehe würde es bei ihm nicht reichen. Lynn war altmodisch, er glaubte, eine Ehe sei etwas, was man nie mehr im Leben ändern könne, und er hatte Bedenken. Arlene war ein lebenslustiges Mädel, sie brauchte Betrieb, Ausflüge und auch Geld. Und Lynn war der gleiche Typ wie mein Vater. O Gott, ich hätte es ihr niemals sagen dürfen! Ach, Chess, — nun bin ich daran schuld!“
Ich nahm sie in den Arm und streichelte sie.
„Nein, an so etwas ist kein Mensch schuld. Früher oder später hätte sie es ja doch erfahren. Wann waren Sie bei ihr?“
„Schon lange nicht mehr. Aber ich sprach mit ihr darüber zu Beginn dieser Woche. Was ich nur nicht recht verstehen kann: sie nahm es eigentlich ziemlich ruhig auf. Aber Vielleicht hat sie sich nur sehr beherrscht?“
Ich streichelte Andy noch immer und sagte: „Aber dann ist doch jetzt alles klar, und Sie brauchen wenigstens keine Angst mehr zu haben.“
Sie kuschelte sich an mich.
„Nein, — jetzt hab’ ich auch keine mehr. Es war nur alles so unheimlich, solange man es nicht wußte.“
„Dann kann ich also wieder abdampfen, was?“
„Wo wohnen Sie eigentlich?“ fragte sie dagegen.
„In Culver City.“
„Ach, das ist ja nicht weit. Höchstens zwanzig Meilen.“
Der Hase fing an in eine Richtung zu laufen, die mir absolut nicht in den Kram paßte, und ich beschloß, ihr die nächste Dosis zu verabreichen.
„Tja“, sagte ich, „das wäre alles recht und schön, aber die Polizei glaubt nicht recht an einen Selbstmord von Arlene. Es gibt da einige Anhaltspunkte, wonach es keiner ist. Ich muß das noch herausfinden.“
Sie rutschte ein kleines Stückchen von mir weg, als ob sie mich so besser beobachten könnte. „Ist das wirklich wahr, — oder —“
„Oder was?“ Sie zwinkerte mir zu.
„Nein“, sagte ich ernst, „es ist wirklich wahr. Ich habe gute Gründe, nicht an einen Selbstmord zu glauben.“
„Aber dann wäre es ja noch schlimmer als ich dachte!“ rief sie mit beinahe schriller Stimme, „dann sind es ja zwei Morde!“
„Ja, zwei Morde.“
Sie holte sich ihre Jacke, und ich half ihr hinein. Und dann sagte ich: „Ich würde gern noch ein paar Tage hierbleiben. Verstehen Sie das?“
„Ja — ja natürlich. Ich werde mit Mama sprechen und...“
„Ihre Mutter“, unterbrach ich sie, „wird das nicht sehr schätzen, soviel ich gemerkt habe. Außerdem dürfen Sie keinem Menschen verraten, wer ich in Wirklichkeit bin und was ich suche. Ich müßte Chester Manning bleiben.“
„Selbstverständlich. Und wegen Mama brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Sie kümmert sich wenig darum, wen ich einlade.“
„So, — das ist nun aber doch wirklich nicht spanisch, oder?“
„Na ja, — in der Beziehung ist sie…“
„...allerhand Kummer gewöhnt, nicht?“
Wir lachten beide und die graue, unheimliche Stimmung der letzten Stunde war fortgeblasen.
Als wir vorsichtig ins Bootshaus hineinmanövrierten, sagte sie:
„Ich lasse morgen ein Zimmer für Sie herrichten, auf meiner Etage. Sie müssen mich beschützen. Werden Sie das tun?“
„Mit Vergnügen, Andy. Tag — und Nacht.“
Sie gab mir einen leichten Klaps auf den Mund.
„So war’s nicht gemeint, Sie Frechdachs.“
Ich half ihr beim Aussteigen und sie hielt sich an meinem Arm fest.
„Muskeln haben Sie, wie ein Bär, Chess. Ich glaube, daß man in Ihrer Nähe ganz sicher sein kann.“
„Gewiß“,
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