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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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leichter eine Vorstellung machen.
    Außer zu einem Freund wurde Jesus bald schon zu einem Leidensgenossen, nicht allmählich, sondern plötzlich, als Victor fast am Ende des Matthäus-Evangeliums angekommen war.
    Eli, Eli, lama asabthani? das ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
    Der Satz hatte ihn wie ein Blitzschlag getroffen. Gott ließ seinen eigenen Sohn im Stich. Er überließ ihn seinem Schicksal. Auch das kannte Victor nur allzu gut. Sein eigener Vater hatte ihn auch seinem Schicksal überlassen. In diesem Satz wurden Jesus und Victor im wörtlichen Sinne zu Leidensgenossen.
    Bildete Victor sich etwa ein, er selbst wäre Jesus? Nein, denn erstens hatte er keine Fantasie, und zweitens war ihm durchaus klar, dass Jesus und er zwei verschiedene Personen waren. Viel eher lässt sich behaupten, dass Victor damals meinte, er selbst sei wie Jesus. Sie teilten dasselbe Schicksal, und sie waren beide gut. Jesus hatte vielleicht mehr gute Taten vorzuweisen, aber er hatte ja noch Zeit. Wenn er Arzt würde, könnte er zumindest auch Kranke heilen. So dachte er. Wenn. Dann.
    Eines aber konnte er beim besten Willen nicht begreifen: wie sein Vater je hatte Arzt werden können. Ärzte mussten doch Gutes tun. Immer.
     
    Mit der Praxis von Karl Hoppe ging es nach und nach wieder aufwärts. Der Doktor hatte seinen Irrtum eingesehen. Das glaubten die Einwohner zumindest. Gleichzeitig fragten sie sich, was sein Sohn in Gottes Namen auf einer Schule zu suchen hatte. Aber wichtiger war, dass Victor auf dieser Schule zumindest wieder in die Hände Gottes gelangt war. So hatte Pastor Kaisergruber es ausgedrückt.
    Mit dem Doktor selbst ging es allerdings nicht mehr so gut wie zuvor. Das bemerkten seine Patienten ebenfalls. Er ließ sich kaum noch zu einem Schwätzchen bewegen. Er lachte nur noch selten. Er magerte ab. Zum Glück machte er seine Arbeit weiterhin gut, und das war doch das Wichtigste, fanden die Leute.
     
    Er wagt mich nicht einmal anzusehen. So weit ist es gekommen. So weit habe ich es kommen lassen. Das dachte Karl Hoppe jedes Mal, wenn sein Sohn nach Monaten im Internat wieder für ein paar Tage nach Hause kam.
    Zugleich fiel ihm auf, dass Victor immer klüger wurde. Die Übungen, die er machte, sowohl in Lesen und Schreiben als auch in Rechnen, wurden immer schwieriger. Bruder Rombout bestätigte das. Victor sei sein bester Schüler, sagte er sogar. Er lasse die anderen Kinder meilenweit hinter sich.
    Der Doktor musste immer schlucken, wenn er das hörte. Dass Victor einst für debil erklärt worden war, verschwieg er.
    Ob sein Sohn im Unterricht auch so still sei wie zu Hause, wollte er wissen.
    Victor sei sehr in sich gekehrt, bestätigte der Bruder. Er nehme viel auf, lasse aber wenig nach außen dringen. Und, so fügte Bruder Rombout hinzu, er knüpfe keine Freundschaften.
    Freunde werden wir sicher auch nie, Victor und ich, dachte der Doktor. Und dann zählte er sich im Stillen abermals auf, was sein Sohn ihm alles übelnehmen konnte.
    Manchmal wollte er mit ihm darüber sprechen. Er wollte ihm bestimmte Dinge erklären. Er wollte ihm erzählen, was seine Mutter für ein Mensch gewesen war, und warum sie beschlossen hatten, ihn in die Anstalt zu schicken. Er wollte ihm auch das Dossier geben, das die Schwestern über ihn angelegt hatten und das er nie hatte wegwerfen können. Vielleicht weil er doch nicht ganz so tun wollte, als hätte es diese Phase in Victors Leben nie gegeben. Eines Tages wollte er auch versuchen, dem Jungen zu erklären, warum er ihn geschlagen hatte. Er wollte ihm sagen, dass es stärker war als er selbst. Schließlich wollte er fragen, ob Victor ihm vergeben konnte.
    Aber ebenso oft, wie er sich all dies vornahm, dachte er wieder, es wäre besser , wenn Victor all diese Dinge nicht vergeben, sondern vergessen würde. Die Schläge, die er ihm versetzt hatte, waren vermutlich am schwersten zu tilgen, aber die Jahre, die der Junge in der Anstalt zugebracht hatte, würde die Zeit wohl aus seinem Gedächtnis löschen. Er war damals schließlich noch ganz klein gewesen. Und wer erinnert sich schon daran, was vor seinem fünften Lebensjahr geschehen ist?
     
    ***
     
    Der Morgen des 17. Dezember 1980.
    »Ich habe sie.«
    »Victor?«
    »Ja, ich bin’s, Victor.«
    »Victor, es ist Viertel vor vier!«
    »Ich habe sie«, hörte er wieder.
    »Wen oder was hast du?«, fragte Rex Cremer verärgert.
    »Die Mäuse. Die Klone.«
    »Wie bitte?«
    »Ich habe Mäuse geklont.«
    Der

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