Der Engelmacher
Ärztliche Direktor brachte vor Staunen kein Wort heraus. Victors ausdrucksloser Tonfall, als hätte er bloß eine Nebensächlichkeit mitzuteilen, warf hingegen Fragen auf.
»Victor, ist das dein Ernst?«
»Ja.«
»Hast du’s wirklich geschafft? Wie viele sind es denn?«
»Drei.«
»Von wo rufst du an? Bist du an der Uni?«
»Ja, genau.«
»Ich komme. Jetzt gleich.«
Auf dem Weg zur Universität versuchte Rex Cremer, seine Gedanken zu ordnen. Fünfzehn Monate waren vergangen, seit er Victor angeworben hatte, und in all der Zeit hatte er keine Aufsehen erregenden Resultate vorweisen können. Die anderen Biologen hatten bereits darauf gedrungen, das Experiment abzubrechen, aber bislang hatte er immer hinter Victor Hoppe gestanden. Weniger, weil er selbst noch viel Hoffnung gehabt hätte, als vielmehr, weil er sich selbst nicht hatte eingestehen wollen, dass er sich womöglich in Victor getäuscht hatte. Gerade hatte er eine Woche Urlaub hinter sich, und kurz vor seiner Abreise hatte er Victor noch gesprochen. Wenn es jedoch stimmte, was er gerade am Telefon zu hören bekommen hatte, dann musste Victor die Embryos damals schon eingepflanzt gehabt haben. Gesagt hatte er davon jedoch nichts. Es schien fast, als hätte er erst darüber sprechen wollen, wenn er bereits Beweise vorzuweisen hätte.
Als der Ärztliche Direktor auf dem Universitätscampus ankam, ging er sofort zum Labor, wo er Victor über ein Mikroskop gebeugt antraf.
»Wo sind sie, Victor?«
Ohne aufzusehen, deutete er auf einen Tisch in einer Ecke des Labors. Da stand ein Kasten aus Plexiglas, halb gefüllt mit Papierschnipseln. Rex beugte sich darüber und zählte sieben Junge und eine erwachsene weiße Maus. Er sah auf Anhieb, dass die halbnackten Mäuse bereits einige Tage alt waren, wohingegen er gedacht hatte, sie seien gerade erst zur Welt gekommen. Victor hatte also noch länger den Mund gehalten, als er unterstellt hatte.
»Wie alt sind sie?«, fragte er.
Victor hielt über seinem Kopf vier Finger in die Luft.
»Warum hast du mich erst jetzt angerufen?«
»Weil ich noch keine Sicherheit hatte, solange ich ihre Farbe nicht unterscheiden konnte«, antwortete Victor, während er eine andere Petrischale unter das Mikroskop stellte. »Ich musste warten, bis die ersten Härchen kamen.«
Der Ärztliche Direktor beugte sich über den Kasten mit den Mäusen und sah erst jetzt den minimalen Farbunterschied.
»Weiße und braune Mäuse?«
»Die mit dem braunen Fell sind die Klone«, teilte Victor mit.
»Die weißen sind normale Mäuse. Die Klone kommen aus Eizellen einer schwarzen Maus, bei der die Kerne ersetzt worden sind mit Kernen von fünf Tage alten Embryos einer braunen Maus. Und ausgetragen hat sie eine weiße Maus.«
Rex musste die Worte erst einmal auf sich wirken lassen. Er versuchte, sie sich im Stillen zu wiederholen. Aus Eizellen einer schwarzen Maus hatte Victor also den Kern entfernt und ersetzt durch Spenderzellen von weit entwickelten Embryonen brauner Mäuse. Die Embryos, die daraus entstanden waren, hatte er bei einer weißen Maus eingepflanzt. Die drei braunen Mäuse in dem Glaskasten waren also Klone von Mäuseembryos, die nicht durch normale Teilung, sondern tatsächlich durch Zellkerntransplantation entstanden waren. Es war Victor mithin gelungen, als Erster in der Geschichte der Wissenschaft ein Säugetier zu klonen, Rex war sprachlos. Er spürte, wie er langsam von Aufregung überwältigt wurde.
»Du hast es verdammt noch mal geschafft!«, rief er aus.
Aber Victor reagierte nicht. Mit der linken Hand stellte er das Mikroskop scharf, mit der rechten zeichnete er kleine Striche auf ein Blatt Papier. Der Ärztliche Direktor betrachtete erneut die Mäuse.
»Victor, das ist eine Weltpremiere«, sagte er nachdrücklich. »Ist dir das eigentlich klar?«
»Die Welt wird schon bald davon wissen«, erwiderte er ohne Umschweife.
»Wieso?«
»Ich habe schon einen Bericht geschrieben und ihn an den Chefredakteur von Cell geschickt.«
»Das geht nicht. Das durftest du nicht. Ich meine … du hättest es uns erst vorlegen müssen, oder mir zumindest. Das kannst du doch nicht einfach so machen. Und erst recht nicht bei so was.«
Er kam sich vor, als müsste er einen seiner Erstsemester über seine Pflichten belehren.
»Es musste schnell gehen«, antwortete Victor.
Rex atmete tief durch, während er den Blick auf den gebeugten Rücken des Kollegen gerichtet hielt.
»Und warum Cell? « , fragte er dann. »Deinen vorigen
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