Der Engelmacher
Artikel hast du doch an Science gegeben. Die haben doch viel mehr Impact.«
»Die stellen zu viele Fragen.«
»Aber das müssen sie doch! Darum sind sie …«
»Manchmal muss man die Dinge einfach hinnehmen, wie sie sind.«
»Victor, du bist ein großes Talent, aber das heißt nicht, dass du deshalb keine Rechenschaft ablegen müsstest.«
»Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig«, reagierte Victor gereizt. Er schob seinen Hocker zurück und stand auf. Mit großen Schritten lief er zu dem Tisch mit dem Kasten aus Plexiglas und nahm eine der geklonten Mäuse heraus. Er setzte das Tier auf seine ausgestreckte Hand und hielt es dem Ärztlichen Direktor vor die Nase.
»Dies ist meine Rechenschaft«, sagte er.
Rex sah Victor mit großen Augen an. Es waren weniger die Worte oder die Wut, die ihn überraschten, als vielmehr sein verändertes Äußeres. Er hatte einen rötlichen Bart, mit dem Rex ihn noch nie gesehen hatte, und unter den Augen hatte er große Ringe, die sich hellblau von der blassen Gesichtshaut abhoben. Er hatte sich vermutlich seit etwa einer Woche nicht mehr rasiert und seitdem wohl auch kaum mehr geschlafen.
»Victor, wie lange arbeitest du schon?«
Er sah auf die Uhr, wandte dann den Blick ab, wie um sich zu vergegenwärtigen, wie lange er schon wach war. Er schüttelte den Kopf.
»Ich weiß es nicht.«
Rex sah an seinem Blick, dass er es wirklich nicht wusste.
»Victor …«
Abwesend strich sich Victor über den Bart.
»Victor«, wiederholte Rex, »vielleicht musst du dich mal ein paar Stunden ausruhen. Ich kann ja so lange hier bleiben.«
Victor nickte und starrte die Maus auf seiner Hand an. Ein paar Mal strich er dem Tier vorsichtig mit dem Finger über das Rückgrat, als wolle er es beruhigen, bevor er ging. Dann setzte er die Maus zurück zu den anderen in den Kasten, drehte sich um und ging zur Tür.
»Victor, kann ich den Bericht irgendwo finden?«, fragte Rex. »Ich würde ihn gern lesen.«
»Neben dem Fax«, antwortete er und vollführte mit der linken Hand eine vage Gebärde in der Luft.
Rex Cremer verstand nicht, wozu die Eile nötig gewesen war. Der Artikel war schließlich ausgesprochen explizit und deutlich. Victor hatte seine Arbeitsweise ausführlich und Schritt für Schritt beschrieben. Nach jedem einzelnen Schritt hatte er zudem die erzielten Resultate ausgewertet, und am Ende hatte er auch noch ein paar kritische Fragen gestellt, mit denen er andere Wissenschaftler dazu anspornte, selbst nach Antworten zu suchen. Außerdem hatte er nachdrücklich die Bedeutung hervorgehoben, die Cytochalasin B, worüber Cremer selbst publiziert hatte, für seine Methode gehabt hatte. Und all dies hatte er mit Fakten untermauern können, die bisher ins Reich der Fantasie gehört hatten.
Als der Ärztliche Direktor den anderen Biologen der Universität die Neuigkeit mitteilte, reagierten diese zunächst ausgesprochen entrüstet, aber auch sie mussten nach Lektüre des Berichts zugeben, dass die beschriebene Methode tatsächlich revolutionär war, obwohl sie auf den ersten Blick so einfach aussah, dass man sich nur wundern konnte, warum bisher niemand darauf gekommen war. Sie waren gespannt auf die Reaktionen nach Erscheinen des Artikels.
Am 10. Januar 1981 publizierte Cell ein Foto der geklonten Mäuse ganzseitig auf dem Umschlag. Victor Hoppes Artikel wurde als Aufmacher gebracht. Die Reaktionen waren überwältigend. Herausragende Wissenschaftler aus der ganzen Welt reagierten völlig überrascht und zugleich ausgesprochen wohlwollend – mehrere Male fiel das Wort genial –, Zeitungen aus dem In- und Ausland nahmen sich des Themas an. Es gingen Interviewanfragen für Victor Hoppe ein, aber er verweigerte sämtliche Gespräche und war auch nicht bereit, sich zusammen mit den Mäusen fotografieren zu lassen. Nach langem Drängen erlaubte er der Universität schließlich, das Passfoto zu verbreiten, das gemacht worden war, als er seine Stelle angetreten hatte, und das auch auf seinem Hausausweis zu sehen war. Das Foto zeigte ihn noch ohne den Bart, den er von nun an stehen lassen sollte.
Rex Cremer trat als Sprecher der Universität auf und wurde von den Journalisten natürlich gefragt, ob es nun auch möglich sei, Menschen zu klonen, und ob Doktor Hoppe oder andere Wissenschaftler sich daran versuchen würden. Er antwortete, die Wissenschaft sei auf diesem Gebiet gerade erst den Kinderschuhen entwachsen, und deshalb sei es für solche Gedankenspiele viel zu früh. Auch hob
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