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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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Platz. Er hatte das Gefühl, wieder zu Hause angekommen zu sein. Ab und zu sah er zur Tür des großen Saals hinüber und rechnete eigentlich jeden Augenblick damit, Schwester Marthe eintreten zu sehen.
     
    Es war Victors Glück, dass er bei dem jungen Bruder Rombout in den Unterricht kam, der vor noch nicht einmal einem Jahr die erste und zweite Klasse von Bruder Lucas übernommen hatte. Bruder Lucas hatte jeden Schüler als einen Klumpen Lehm betrachtet, den er rigoros durchkneten musste, bis er die Form anzunehmen begann, die ihm vorschwebte. Bruder Rombout hingegen ging von den individuellen Talenten jedes einzelnen Jungen aus und versuchte, diese zu fördern.
    Der junge Bruder hatte sanfte Züge, die ihm zusammen mit seinen langen Wimpern und den schmalen Augenbrauen etwas Feminines verliehen. Er hatte auch eine angenehme Stimme, mit der er gleich am ersten Morgen des neuen Schuljahrs das Vaterunser aufsagte, um anschließend eine Geschichte aus der Bibel zu erzählen. Das Äußere und die Stimme Bruder Rombouts, das Vaterunser und die Geschichte aus der Bibel, all dies nahm Victor auf Anhieb für ihn ein. Und als der Bruder fragte, wer von den Kindern schon lesen könne, worauf sich rechts und links von Victor verschiedene Zeigefinger erhoben, streckte nach einem kurzen Zögern auch er den seinen aus. So fing es an.
    Nicht nur die Person Bruder Rombouts, sondern auch seine Lehrmethode spielte eine große Rolle in der Entwicklung Victor Hoppes. Der Bruder hatte während seiner Ausbildung an einer eigenen Methode der Wissensvermittlung gearbeitet, die er gleich zu Beginn seiner Laufbahn an seinen Schülern zu testen begann. Diese Methode, die später viele Nachfolger fand, sah so aus, dass er vor allem im Rechnen und in der Naturkunde zunächst vom Anschaulichen ausging, um dann über das Schematische zum Abstrakten zu gelangen. So ähnlich funktioniert das Lernen bei kleinen Kindern schon von Natur aus, und bei Victor Hoppe schloss diese Methode geradezu nahtlos an die Arbeitsweise seines eigenen Gehirns an. Bruder Rombout betrachtete Victor als Beweis dafür, dass seine Methode funktionierte, nicht ahnend, dass es eigentlich umgekehrt war: Victor war von seinen Anlagen her gerade für diese Methode ausgesprochen geeignet.
     
    Im Schuljahr 1951/52 standen die Kinder der ersten und zweiten Klasse unter der Obhut Bruder Rombouts: Jungen zwischen sechs und acht Jahren. Zu Beginn eines neuen Schuljahrs übernahm er immer die besten Schüler in die nächsten zwei Jahre, sodass er seine Lehrmethode kontinuierlich ausbauen und seine Theorien direkt in der praktischen Anwendung testen konnte. Victor Hoppe war der einzige Schüler aus der Anfängergruppe, der drei Jahre später bereits ins siebte und damit letzte Schuljahr kam. Bruder Rombout hatte ihn immer wieder in den nächsthöheren Jahrgang mitgenommen, auch wenn die Alterskluft zwischen Victor und den anderen in der Gruppe immer größer geworden war. Als Victor nach drei Jahren in der siebten Klasse angekommen war, war er selbst neun Jahre, und die ältesten Schüler in seiner Klasse waren dreizehn.
    Diese Fakten, verzeichnet in den Annalen der Brüder der Christlichen Schulen in Eupen, beweisen die Intelligenz Victor Hoppes, den man zu Beginn seines Lebens für debil erklärt hatte. Man kann ihnen indes nicht entnehmen, wie an dieser Schule Victors Gottesbild geformt oder besser verformt wurde. Aus den erhaltenen Schulzeugnissen, denen in der zierlichen, ja fast kalligraphischen Handschrift Bruder Rombouts die Noten der einzelnen Fächer zu entnehmen sind, geht das allerdings teilweise hervor. Jahr für Jahr bekam Victor in allen Fächern eine Eins oder eine Eins Minus, sehr selten auch eine Zwei. In allen Fächern, außer in Religion. Im ersten Schuljahr bekam er auch dort noch eine Eins, weil er so manchen Bruder mit seinen Bibelkenntnissen überraschen konnte. Aber mehr als Faktenwissen war das nicht. Zu begreifen vermochte er nicht, was er las oder aufsagte. In der zweiten Klasse bekam er nur noch eine Zwei in Religion, und im Jahr darauf nur noch eine Drei. Im letzten Jahr bekam er von Bruder Rombout schließlich eine Fünf, sein einziges »Mangelhaft« in all den Jahren. »Victor wird niemals Priester werden«, hatte der Bruder an den Rand geschrieben. Wahrscheinlich war das ironisch gemeint, denn wenn Bruder Rombout gewusst hätte, was wirklich in Victors Kopf vor sich ging, hätte er wohl kaum etwas so Unverbindliches schreiben können.
     
    Die

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