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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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er hervor, dass lediglich Embryos geklont worden seien und dass das Klonen erwachsener Tiere noch einmal ein ganz anderes Kaliber sei. Dafür müssten Kerne aus Körperzellen verwendet werden, die bereits eine spezifische Funktion entwickelt hätten. Das werde zumindest in diesem Jahrhundert noch nicht möglich sein, erklärte er, und das glaubte er auch tatsächlich.
     
    Der Wissenschaftslogik zufolge hätte Victor sein Experiment wiederholen müssen, zumindest ein einziges Mal, denn Wiederholbarkeit ist die Essenz der Wissenschaft. Aber seine eigene Logik funktionierte anders. Die sagte ihm, dass er nun den nächsten Schritt tun musste. Wenn das eine gelungen war, dann musste er mit dem Nächsten anfangen. Wenn, dann. So kannte er es. Nicht wenn, dann wenn. Aber das wusste Rex Cremer nicht, als er ihn nun bereits zum zweiten Mal darauf hinwies.
    »Victor, du musst das Experiment wiederholen. Du kannst es nicht einfach so stehen lassen. Außerdem gibt es noch viele unbeantwortete Fragen. Leben die geklonten Mäuse genauso lange wie andere? Bekommen sie Junge? Sind diese Nachkommen auch fruchtbar? All diese Fragen haben andere Wissenschaftler bereits gestellt, Victor, und ich habe sie nicht beantworten können.«
    »Das wird sich mit der Zeit schon herausstellen«, sagte Victor.
    »Aber selbst dann musst du beweisen, dass dein Experiment kein Zufallstreffer war«, rief Rex. »Da wirst du nicht drum herum kommen.«
    »Nur Zirkustiere führen immer wieder die gleichen Kunststücke auf.«
    »Was willst du denn dann, Victor?«
    »Erwachsene Säugetiere klonen.«
    Der Ärztliche Direktor seufzte.
    »Wenn mir das gelingt«, fuhr Victor fort, »dann habe ich doch bewiesen, dass meine Technik funktioniert. Das ist es doch, was sie wissen wollen.«
    »Aber sie wollen nicht jahrelang darauf warten.«
    »Es wird auch nicht jahrelang dauern.«
    »Victor, jetzt sei bitte ein einziges Mal realistisch. Ich weiß, wozu du in der Lage bist, aber …«
    »Es funktioniert, wenn man die Spenderzellen deprogrammieren könnte«, unterbrach ihn Victor. »Wenn man sie wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzen könnte. In die GO-Phase. Oder man versetzt die empfangenden Eizellen in einen anderen Zustand. Mit elektrischen Stimuli ist das möglich. Jedenfalls müssen die Zyklen bei der Verschmelzung synchronisiert sein, sonst entstehen Chromosomen-Abweichungen.«
    Rex wünschte sich in diesem Augenblick, Victor Unrecht geben zu können, aber das konnte er nicht. Was der andere vortrug, klang logisch, und außerdem stellte er es auch noch so einfach dar, als bräuchte er bloß ein paar flüssige Substanzen in ein Reagenzglas zu kippen und es einmal durchzuschütteln, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen.
    »Victor, die Fakultät wird es nie gutheißen, wenn du …«
    »Ich mach es trotzdem.«
    »So arbeiten wir hier nicht. Ich habe dir schon …«
    »Wenn es hier nicht geht …«
    »Verdammt noch mal, Victor, du machst es mir wirklich schwer! Du hast Glück gehabt, dass ich bislang immer hinter dir gestanden habe, weißt du das?«
    »Ich habe nie darum gebeten.«
    »Das stimmt«, musste der Ärztliche Direktor seufzend zugeben. Er wusste, dass er in ein Dilemma geriet. Wenn er versuchte, Victor auf die Regeln festzunageln, würde der sicher seinen Hut nehmen. Das wäre zweifellos ein großer Verlust für seine Abteilung, die gerade erst eine große Summe Geld von der Universität bekommen hatte, um diese Forschungen fortzusetzen. Aber wenn er Victor nach Gutdünken verfahren ließ, dann würden die anderen Biologen protestieren, die sehr wohl Rechenschaft ablegen mussten. Es wäre noch angegangen, wenn Victor wenigstens etwas mehr Kollegialität und Offenheit an den Tag gelegt hätte, aber auch davon war nichts zu spüren. Er war in keinster Weise für die Arbeit im Team geeignet. Er akzeptierte keine Autorität, er nahm keine Rücksicht auf andere, und er brachte für nichts und niemanden Bewunderung auf. Sein Talent machte vieles davon wett, aber würde das auf Dauer ausreichen?
    »Victor, gib mir ein bisschen Zeit. Ich muss darüber nachdenken.«
    »Es bleibt keine Zeit.«
    »Was machen denn ein paar Tage schon aus?«
    »In ein paar Tagen hat Gott die Welt erschaffen.«
    »Victor, du treibst mich in den Wahnsinn! Hör mal zu …«
    Plötzlich stutzte Rex. Dass Victor schon wieder über Gott sprach, machte ihn nachdenklich. Bisher hatte er diese Anspielungen auf Gott eher augenzwinkernd aufgefasst, aber allmählich

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