Der Engelmörder - Spindler, E: Engelmörder
auffällt.“
Nichts an diesem Tatort sprang ihr ins Auge, und nach vierzig Minuten verließ Kitt das Haus. Es war eigenartig, von hier wegzugehen, ohne die Eltern zu befragen, die Nachbarschaft zu durchforsten und nach anderen möglichen Zeugen Ausschau zu halten.
Verdammt! Das hier sollte ihr Fall sein! Sie hatte vor fünf Jahren wie eine Irre geschuftet, um den Mörder zu finden. Jedes kleine Detail war in ihr Gedächtnis eingebrannt.
Aber sie hatte den Fall auch verbockt, und das war das Schlimmste gewesen.
„Lundgren!“
Kitt blieb stehen und drehte sich um. Riggio kam mit entschlossener Miene auf sie zu. „Ich wollte noch was klarstellen, bevor Sie gehen.“
Das war zu erwarten gewesen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich bin ganz Ohr.“
„Hören Sie, ich kenne Ihre Vergangenheit. Ich weiß, wie wichtig Ihnen der Engelmörder ist und wie Sie sich fühlen müssen, weil Sie jetzt ausgeschlossen sind.“
„Ach, ich bin davon ausgeschlossen?“
„Hören Sie mit diesen Spielchen auf, Lundgren. Es ist mein Fall, und ich möchte Sie bitten, das zu respektieren und Ihre persönlichen Gefühle außen vor zu lassen.“
„Mit anderen Worten, ich soll mich raushalten.“
„Ja.“
Kitt zog eine Augenbraue hoch, erstaunt darüber, mit welcher Arroganz diese Frau auftrat. „Darf ich Sie daran erinnern, Detective, dass ich mit jedem Detail des Engelmördersvertraut bin? Sollte es sich hierbei um seinen vierten Mord handeln, dann wäre mein Wissen für Sie von unschätzbarem Wert.“
„Und darf ich Sie daran erinnern, Detective, dass ich Zugriff auf jedes einzelne Detail dieses Falls habe?“
„Aber meine Instinkte …“
„… taugen nichts. Und das wissen Sie.“
Sie musste sich zwingen, Ruhe zu bewahren, da Riggio es sonst so empfinden würde, als hätte sie ihre Gefühle nicht im Griff. „Ich kenne diesen Kerl“, entgegnete sie gelassen. „Er ist klug, und er ist vorsichtig. Er plant seine Taten bis ins kleinste Detail. Er rühmt sich seines Intellekts und der Tatsache, dass er seine Verbrechen ganz ohne Gefühlsregung begeht. Er beobachtet die Kinder, macht sich mit ihrem Tagesablauf vertraut, weiß, wann sie zu Bett gehen. Er kennt die Lage des Schlafzimmers. Er sucht sich die aus, die verwundbar sind.“
„Und was macht sie verwundbar?“
„Unterschiedliche Dinge. Die Situation der Eltern, ihr soziales Umfeld.“
„Was macht Sie so sicher?“
„Weil ich in den letzten fünf Jahren an nichts anderes als an diesen Kerl gedacht habe.“
„Und warum haben Sie ihn dann nicht gefasst?“
Darauf wusste Kitt keine Antwort. Einmal war sie ihm ganz dicht auf den Fersen gewesen, und dann hatte sie es in letzter Sekunde verbockt.
Riggio lehnte sich vor. „Hören Sie, Lundgren. Ich habe nichts gegen Sie. Ich bin selbst lange genug Cop, um zu wissen, wie der Job einem manchmal zusetzen kann. Wie ein bestimmter Fall einem zusetzen kann. Aber das Problem habeich nicht. Das hier ist mein Fall. Halten Sie sich zurück und lassen Sie mich den Kerl schnappen.“
„So arrogant habe ich auch mal gedacht.“
Riggio wandte sich ab. „Wie Sie meinen.“
„Wäre es nicht von Vorteil, wenn wir zusammenarbeiten?“, fragte Kitt, während sie die andere Frau am Ärmel fasste. „Wäre meine Erfahrung mit dem Engelmörder nicht hilfreich? Wenn Sie mit Sal sprechen, wird …“
„Auf gar keinen Fall, tut mir leid.“
Das nahm Kitt ihr nicht ab. Sie ließ sie los und machte einen Schritt nach hinten. „Vergessen Sie eines nicht, Riggio. Es geht hier nicht um Sie, es geht hier nur darum, diesen Kerl zu fassen, und zwar um jeden Preis.“
Die andere Frau verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. „Das ist mir durchaus bewusst, Detective Lundgren. Ich schlage vor, Sie halten sich das mal selbst vor Augen.“
„Dann gehe ich zum Deputy Chief.“
„Viel Vergnügen. Wir wissen doch beide, was er dazu sagen wird.“
Kitt sah der Frau nach, wie sie fortging, dann setzte sie sich in den Wagen. Das Problem war, sie konnte sich tatsächlich gut ausrechnen, was er sagen würde. Doch das sollte sie nicht davon abhalten, es zumindest zu versuchen.
6. KAPITEL
Dienstag, 7. März 2006
Mittag
Salvador Minelli, der Deputy Chief of Detectives, saß da und hörte sich in aller Ruhe an, was Kitt ihm zu sagen hatte. Er war ein außerordentlich gut aussehender Mann mit silbergrauem Haar und einem Gesicht, das auch mit einundfünfzig Jahren kaum Falten aufwies. Er kleidete sich elegant, und sein Gang
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