Der Engelspapst
Ohnmacht, die er angesichts dessen verspürte, war nicht das Schlimmste. Dass er von seinem Freund Utz verraten und benutzt worden war, wog für ihn sehr viel schwerer. Doch am meisten machte ihm der Anführer des Zirkels zu schaffen, das Haupt der Zwölf. Sobald er nur an die Stimme und das Gesicht – an ihn! – dachte, wurde Alexander schlecht. Tische, Stühle und Menschen begannen sich um ihn zu drehen. Sein Magen revoltierte.
Er sprang auf, lief zur Toilette und erbrach sich. Danach hielt er seinen Kopf lange unter den Kaltwasserhahn. Am liebsten hätte er die Erinnerung an das, was er in den letzten Stunden erfahren hatte, einfach weggespült. Der Zwiespalt der Gefühle drohte ihn zu zerreißen. Er wünschte, er hätte die unterirdischen Stollen nie betreten.
«Du siehst schlecht aus», sagte Elena, als er sich wieder zu ihr an den Ecktisch setzte. «Kein Wunder nach allem, was wir gehört haben. Dich muss es besonders getroffen haben. Mit diesem Utz Rasser bist du gut befreundet, nicht?»
«Das dachte ich – bis heute.»
Seine Stimme klang kratzig. Seit sie im flackernden Licht der schwächer werdenden Taschenlampe das Stollensystem verlassen hatten hatte er kaum ein Wort gesagt. Kurz nachdem der Beschluss, den Papst morgen zu töten, gefasst worden war, hatte die Versammlung sich aufgelöst. Vorher hatte Alexander noch die Stimmen von Gardekaplan Franz Imhoof und drei Gardisten identifiziert: Oberleutnant Roland Schnyder, Adjutant Walter Stückelberger und Feldweibel Kurt Mäder. Kameraden, mit denen er Seite an Seite gedient hatte und die ihn – wie er jetzt annehmen musste – in jeder Sekunde ausspioniert hatten.
Am Ende der Zusammenkunft hatten alle dieselbe Eidesformel gesprochen wie zu Beginn. Daraufhin hatten auch Alexander und Elena die unterirdische Welt verlassen. Mit der erlahmenden Lampenbatterie wäre es zu gefährlich gewesen, einen Umweg zur Edelsteinkapelle zu suchen – falls es überhaupt einen gab.
«Utz war für mich wie ein Bruder», sagte er hilflos.
«Vielleicht sollte er genau das sein. Dein Treubruder!»
«Du meinst …»
«Ich habe den Eindruck, dass es zwischen Totus Tuus und dem Zirkel der Zwölf einige Gemeinsamkeiten gibt. Auch ich habe mich so elend gefühlt wie du, damals, als ich von Schwester Bianca verraten wurde. Totus Tuus und der Zirkel wenden offensichtlich ähnliche Methoden an. Dir ist doch klar, dass Rasser auf dich angesetzt war, oder?»
«Ja», sagte er matt.
«Und klar scheint auch zu sein, dass dein Onkel ebenfalls zu den Verschwörern gehörte. Aber wohl nicht mit ganzem Herzen, sonst hätten sie ihn nicht als Verräter bezeichnet. ‹Er musste von uns gehen, weil Stärke und Weisheit ihn verlassen hatten. Er ist vom Pfad der Wahrheit abgewichen und hat den Treueschwur gebrochen.› So hat das so genannte Haupt der Zwölf es doch ausgedrückt.»
«Ich weiß.» Es lag auf der Hand, dass der Anführer damit Heinrich Rosin gemeint hatte.
«Der Zirkel der Zwölf hat Oberst Rosin eiskalt liquidiert. Und das Gleiche soll morgen mit dem Papst geschehen.» Elena schüttelte den Kopf. «Verrückt! Ich komme mir vor wie im Irrenhaus.»
«Willkommen im Club.»
In Elenas Gesicht trat ein entschlossener Ausdruck. «Wir müssen etwas unternehmen! Wir kennen die Namen der Verschwörer, jedenfalls zum Teil. Wir müssen sie auffliegen lassen. Heute noch.»
«So? Und wer soll das übernehmen? Anton von Gunten und die Schweizergarde etwa? Oder die Vigilanza unter Riccardo Parada? Du kannst natürlich auch die Kurienkardinäle informieren. Ich schätze, man wird dich entweder an Musolino oder an Tamberlani verweisen.»
«Die Polizei! Wir werden die Polizei verständigen.»
«Die hat im Vatikan keine Befugnis, es sei denn, sie wird von dort zu Hilfe gerufen», sagte Alexander. «Aber das werden Musolino und Parada zu verhindern wissen.»
«Die Polizei könnte den Vatikan informieren.»
«Und würde wieder an Musolino oder Parada geraten. Gib es auf, Elena! Der Zirkel der Zwölf verfügt über alle Schaltstellen.»
«Verdammt, wenn ich aufgeben wollte, hätte ich das damals getan, als Mutter Assunta mich blutig peitschen ließ! Ich habe mich für den anderen Weg entschieden. Du weißt, dass ich mir geschworen habe, Totus Tuus das Handwerk zu legen, um jeden Preis. Und ich würde meinen Kopf darauf verwetten, dass der Zirkel der Zwölf mit dem Orden in Verbindung steht. Wenn es gar nicht anders geht, sorge ich dafür, dass der Messagero in einer Sonderausgabe
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