Der Engelspapst
seinen Arm und seine Wange wie die Mutter, die er nicht gekannt hatte. Und irgendwann lag sie in seinen Armen wie die Geliebte, die er schmerzlich vermisste.
Eng umschlungen taumelten sie zu dem noch von der letzten Nacht zerwühlten Bett. Alexander sank rücklings auf die Matratze. Hastig zog Elena ihre Jeans und den Slip aus und schwang sich rittlings auf ihn. Sie öffnete seine Hose und führte ihn in ihren Schoß. Ihre Schenkel umklammerten ihn mit ungeahnter Kraft, und er überließ ihr willig die Führung. Mit geschlossenen Augen genoss er die Erregung, in die sie ihn versetzte, und auf dem gemeinsamen Höhepunkt stieß er voller Leidenschaft den Namen der Geliebten aus: «Juliette!»
Von einer Sekunde zur anderen zog Elena sich von ihm zurück und rutschte zur Seite. Als er sie ansah, lag nicht Enttäuschung in ihrem Back, sondern die Aufforderung an ihn, sich zu erklären.
Er wusste, dass der Zeitpunkt gekommen war, an dem er sein Geheimnis preisgeben musste. Den Grund für seinen tiefen Schmerz über das, was die Medien als «Gardemord»
bezeichneten. Seine Erinnerung wanderte sieben Jahre zurück zu einem heißen Sonntag im August …
Fregene!
An überhitzten Sommertagen ein Zauberwort für die Römer.
Jedenfalls für die, die den Zauber bezahlen können. Die Masse der Römer, die sich kein Sommerhaus in den Bergen leisten oder die Stadt aus beruflichen Gründen in den heißesten Wochen des Jahres nicht verlassen kann, flüchtet am Wochenende an den hoffnungslos überfüllten Strand von Ostia.
Wer hier im Meer badet, in das die Abwässer Roms und Ostias gespült werden, ist mutig. Die anderen drängen sich dicht an dicht an dem langen, verschmutzten Strand, über dem sich das Gedudel zahlloser Radiorekorder mit dem Schreien und Kreischen unzähliger Kinder zu einem dicken Teppich betäubender Töne verknüpft.
Fregene ist anders. Leiser, ruhiger, sauberer, erholsamer, intimer.
Als junger, spärlich entlohnter Gardist hätte Alexander kaum Zugang zu einer der kleinen privaten Badebuchten. Daher hat er das Angebot seiner Tante, sie nach Fregene zu begleiten, nur zu gern angenommen. Sein Onkel Heinrich hat an diesem Sonntag wieder einmal zu viele dienstliche Angelegenheiten zu regeln, als dass er den Vatikanstaat verlassen könnte.
«Ist es auch kein zu großes Opfer für dich, den Sonntag ausgerechnet mit deiner Tante zu verbringen?», hat Juliette gefragt, als sie den Lancia aus der vatikanischen Tiefgarage lenkte. «Noch kannst du es dir überlegen. Du musst mir keinen Gefallen tun.»
«Du tust mir einen Gefallen», hat er geantwortet, und es war ehrlich gemeint.
Er mag Juliette, in der er eher eine Freundin sieht als seine Tante. Die spontane, lebenslustige Art der attraktiven Frau zieht ihn an, und manchmal vergisst er vollkommen, dass sie zwanzig Jahre älter ist als er. Seinen Onkel erlebt er anders, sehr ernst und in sich gekehrt. Vielleicht ist das die Voraussetzung, um die Schweizergarde des Papstes zu befehligen.
Alexander fragt sich oft, ob er eines Tages sein wird wie sein Onkel und sein Vater, ob er in die Fußstapfen der beiden treten wird. Sollte es so kommen, dann erst in vielen Jahren. Noch genießt er es zu leben, ohne sich ständig den Kopf über Dienstpläne, Beförderungsvorschläge und Sicherheitsmaßnahmen zu zerbrechen. Heute hat das ungezwungene Leben einen Namen: Fregene.
Er liegt im Schatten einer einzelnen Pinie auf der Parzelle, die Juliette für diesen Sonntag vom Besitzer der privaten Badeanstalt gemietet hat. Die einzelnen Parzellen sind von kleinen Kanälen umgeben, an deren Böschungen das Schilfrohr so hoch aufragt, dass es die Sonnenanbeter vor neugierigen Blicken schützt. Die Hände im Nacken verschränkt, liegt Alexander auf einer flauschigen Decke und starrt durch seine Sonnenbrille in den blauen Himmel, über den winzige weiße Wölkchen ziehen, allein zu dem Zweck, das tiefe Sommerblau nur noch mehr zu betonen.
Die Parzelle hat nur zwei Zugänge. Einen dort, wo ein Fahrweg über einen der Kanäle führt. Der Lancia verstellt die Einfahrt. Durch die getönten Brillengläser sieht es so aus, als verschmelze die dunkelblaue Lackierung mit dem Himmel. Die andere Öffnung führt zum Meer; gerade ist Juliette noch einmal baden gegangen. Große Schilder an der Einfahrt der privaten Badebucht versichern, dass moderne Filtersysteme das Wasser sauber halten. Wie Alexander seine Tante einschätzt, wäre sie so oder so schwimmen gegangen.
Ein Schatten fällt auf
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