Der Engelsturm
war – zuletzt gesehen hatte. Er stolperte weiter in diese Richtung. SeinAtem kam jetzt rauh und keuchend. Das verletzte Bein war nicht daran gewöhnt zu rennen, es brannte und klopfte. Tiamak gab sich Mühe, es nicht zu beachten. Still, still – das Lager war starr wie ein stehender Teich. Die Zelte lagen schwarz unter dem Mond, leblos wie die Steine, die die Trockenländer auf Felder setzten, um unter ihnen ihre Toten zu begraben.
Aber dort! Wieder drehte sich Tiamaks Magen um. Dort bewegte sich etwas! Eines der Zelte, nicht weit von ihm entfernt, bebte wie im Sturm, und in ihm brannte ein Licht, das unheimliche, tanzende Schatten an die Zeltwände warf.
Noch während er darauf blickte, kitzelte und brannte etwas in seiner Nase. Es roch süß und moschusartig. Tiamak nieste krampfhaft und wäre fast hingefallen, fing sich aber noch rechtzeitig ab. Er humpelte auf das Zelt zu, in dem Licht und Schatten pulsierten, als werde gerade etwas Ungeheuerliches darin geboren. Er wollte laut schreien und rufen, wollte Alarm schlagen, denn seine Furcht wuchs immer mehr. Aber er brachte keinen Laut hervor. Selbst sein schmerzhaft rauhes Atmen war zu einem leisen Flüstern geworden.
Auch in dem Zelt war es eigenartig still. Tiamak bezwang seine Angst, packte die Zeltklappe und riss sie zurück. Zuerst nahm er nur dunkle Gestalten und grelles Licht wahr, das fast deckungsgleiche Abbild der Schattenbilder an der Außenwand des Zeltes. Gleich darauf nahmen die schwankenden Gestalten Konturen an. An der hinteren Zeltwand stand Camaris. Er schien getroffen zu sein, denn aus einer Kopfwunde rann Blut, das seine Wange und das Haar dunkel färbte. Er taumelte wie ein Betrunkener. Aber obwohl er gebeugt und schwankend am Segeltuch des Zeltes Halt suchte, stand er noch immer grimmig und kampfbereit da, ein Bär, bedrängt von Hunden. Er hatte kein Schwert, sondern umklammerte ein Holzscheit, das er hin- und herschwenkte. Der Angreifer war fast völlig schwarz, bis auf zwei weiß blitzende Hände, mit denen er etwas Glitzerndes umklammerte.
Camaris zu Füßen zappelten noch weitere schwarzverhüllte Glieder, zwischen denen Tiamak den blassen Schimmer von Aditus Haaren erkannte. In einer Ecke des Zeltes duckte sich ein dritter schwarzgekleideter Feind und versuchte sich vor einem immer wieder herabstoßenden, flatternden Schatten zu schützen.
Außer sich vor Entsetzen wollte Tiamak laut um Hilfe schreien, aber er war wie gelähmt. Und obwohl es ein Kampf um Leben und Tod zu sein schien, war es fast völlig still im Zelt, bis auf das erstickte Keuchen der beiden am Boden Ringenden und das wilde Flügelschlagen der Eule.
Warum höre ich nichts? , dachte Tiamak verzweifelt. Warum kann ich nicht rufen?
In panischer Angst suchte er den Boden nach einem Gegenstand ab, den er als Waffe benutzen könnte, und verfluchte sich dabei, weil er sein Messer im Zelt, das er mit Strangyeard teilte, liegen gelassen hatte. Kein Messer, keine Steinschleuder, keine Blasrohrpfeile nichts! Sie-die-darauf-wartet-alles-wieder-zu-sich-zu-nehmen hatte ihm zweifellos heute Nacht sein Lied gesungen.
Etwas Riesengroßes, Weiches legte sich auf ihn und zwang ihn auf die Knie. Aber als er wieder aufblickte, waren die verschiedenen Kämpfe nach wie vor in vollem Gange, und keiner davon spielte sich in seiner unmittelbaren Nähe ab. Sein Schädel pochte noch weit schmerzhafter als das Bein, und der süße Geruch war zum Ersticken stark. Tiamak kroch betäubt vorwärts und stieß mit der Hand gegen etwas Hartes. Es war das Schwert des Ritters, das schwarze Dorn, noch in der Scheide. Tiamak wusste, dass es viel zu schwer für ihn war und er es nicht schwingen konnte, aber er zerrte es unter den zerwühlten Schlafdecken hervor und stand auf, schwankend und unsicher auf den Füßen wie Camaris. Was lag nur in der Luft?
Das Schwert in seiner Hand erschien ihm trotz der schweren Scheide und des herunterhängenden Schwertgurts erstaunlich leicht. Er hob es hoch, trat ein paar Schritte vor und führte dann mit aller Kraft einen Hieb gegen das, was er für den Kopf von Camaris’ Angreifer hielt. Der Anprall erschütterte seinen Arm bis hinauf zur Schulter, aber das Wesen fiel nicht. Stattdessen drehte es sich langsam um. Aus einem leichenweißen Gesicht starrten ihn zwei glänzendschwarze Augen an. Tiamak schluckte krampfhaft. Selbst wenn er noch seine Stimme gehabt hätte, wäre kein Ton laut geworden. Er hob die zitternden Arme und das Schwert, um noch einmal
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