Der entzauberte Regenbogen
Politiker und Staatsmänner, aber sie tun nicht nur das, und sicherlich ist es nicht das Einzige, wozu sie fähig sind. Wissenschaftler verändern auch unser Denken über die Welt als Ganzes. Sie helfen der Phantasie, sich rückwärts zur feurigen Entstehung der Zeit und vorwärts in die ewige Kälte zu begeben oder, mit den Worten von Keats, «unmittelbar in die Galaxis zu springen». Ist das sprachlose Universum kein lohnendes Thema? Warum soll ein Dichter nur Menschen feiern, nicht aber das langsame Mahlen der Naturkräfte, das sie hervorgebracht hat? Darwin versuchte das sehr tapfer, aber seine Begabung lag nicht in der Dichtung, sondern auf anderen Gebieten:
Es ist anziehend, eine dicht bewachsene Uferstrecke zu betrachten, bedeckt mit blühenden Pflanzen vielerlei Art, mit singenden Vögeln in den Büschen, mit schwärmenden Insekten in der Luft, mit kriechenden Würmern im feuchten Boden, und sich dabei zu überlegen, daß alle diese künstlich gebauten Lebensformen, so abweichend unter sich und in einer so komplizierten Weise von einander abhängig, durch Gesetze hervorgebracht sind, welche noch fort und fort um uns wirken … So geht aus dem Kampfe der Natur, aus Hunger und Tod unmittelbar die Lösung des höchsten Problems hervor, das wir zu fassen vermögen, die Erzeugung immer höherer und vollkommenerer Tiere. Es ist wahrlich eine großartige Ansicht, daß der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht hat, und daß, während unser Planet den strengsten Gesetzen der Schwerkraft folgend sich im Kreise geschwungen, aus so einfachem Anfange sich eine endlose Reihe der schönsten und wundervollsten Formen entwickelt hat und noch immer entwickelt.
Die Entstehung der Arten (1859)
William Blake hatte religiöse und mystische Interessen, und doch würde ich mir wünschen, ich selbst hätte Wort für Wort den folgenden berühmten Vierzeiler geschrieben. Wäre ich sein Urheber, hätte ich damit eine ganz andere Inspiration und Bedeutung verbunden:
Die Welt zu sehn im Korn aus Sand,
Das Firmament im Blumenbunde,
Unendlichkeit halt’ in der Hand
Und Ewigkeit in einer Stunde.
«Weissagungen der Unschuld» (ca. 1803)
Diese Strophe kann man so lesen, als handele sie ausschließlich von Naturwissenschaft, ausschließlich von dem Standort im wandernden Scheinwerferkegel, von der Zähmung des Raumes und der Zeit, vom ganz Großen, das aus den Quantenkörnchen des ganz Kleinen aufgebaut ist, von einer einsamen Blume als verkleinertem Abbild der gesamten Evolution. Der Hang zu Ehrfurcht, Demut und Staunen, der Blake zum Mystizismus (und kleinere Geister, wie wir noch sehen werden, zu paranormalem Aberglauben) führte, ist genau der gleiche, der andere zur Naturwissenschaft führt. Unsere Deutung ist eine andere, aber angeregt werden wir durch dieselben Phänomene. Der Mystiker gibt sich damit zufrieden, sich am Wunder zu ergötzen und ein Geheimnis zu genießen, das wir nicht verstehen «sollen». Der Naturwissenschaftler empfindet das gleiche Staunen, aber er ist nicht damit zufrieden, sondern unruhig; erkennt er ein tiefgründiges Geheimnis, so fügt er hinzu: «Aber wir arbeiten daran.»
Blake mochte die Naturwissenschaft nicht – er fürchtete und verachtete sie sogar:
Denn Bacon und Newton, bewehrt mit grimmgem Stahl, die Eisenknute bedrohlich schwingen über Albion; Folgrungsketten, gleich riesgen Schlangen, winden sich um meine Glieder …
«Bacon, Newton, and Locke», Jerusalem (1804 – 1820)
Welche Vergeudung dichterischen Talents! Selbst wenn hinter seinem Gedicht ein politisches Motiv stand – und man kann sicher sein, dass moderne Kommentatoren darauf beharren werden –, bleibt es eine Vergeudung: Politik und die Beschäftigung damit sind im Vergleich so oberflächlich! Nach meiner Überzeugung könnten Dichter die Inspiration, die von der Naturwissenschaft ausgeht, viel besser verwenden, und gleichzeitig müssen Naturwissenschaftler die Klientel zu erreichen versuchen, die ich mangels eines besseren Wortes als Dichter bezeichne.
Das bedeutet natürlich nicht, dass man naturwissenschaftliche Erkenntnisse in Versform deklamieren sollte. Die gereimten Zweizeller von Erasmus Darwin, Charles’ Großvater, standen zwar zu seiner Zeit in erstaunlich hohem Ansehen, aber der Wissenschaft nützten sie nichts. Und wenn Naturwissenschaftler nicht gerade über die Begabung von Carl Sagan, Peter Atkins oder Loren Eiseley
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