Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
Vom Netzwerk:
verfügen, sollten sie in ihren Ausführungen ganz bewusst einen Stil poetischer Prosa pflegen. Einfache, nüchterne Klarheit, die Tatsachen und Ideen für sich sprechen lässt, erfüllt den Zweck sehr gut. Die Poesie liegt in der Wissenschaft selbst.
    Dichter können – manchmal mit gutem Grund – rätselhaft schreiben, und sie beanspruchen für sich zu Recht die Befreiung von der Pflicht, ihre Gedankengänge zu erklären. «Sagen Sie mir, Mr.   Eliot, wie geht das im Einzelnen, wenn man das Leben mit Teelöffeln abmessen will?» Das wäre, gelinde ausgedrückt, alles andere als eine gute Gesprächseröffnung, aber ein Naturwissenschaftler muss mit solchen Fragen rechnen. «Wie kann ein Gen egoistisch sein?» – «Was fließt eigentlich in dem Fluss, der in Eden entspringt?»
    Nach wie vor erläutere ich bei Bedarf, was der Gipfel des Unwahrscheinlichen bedeutet und wie man ihn langsam, Schritt für Schritt, erklimmt. Unsere Sprache soll erhellen und erklären, und wenn es uns mit einer Methode nicht gelingt, unsere Gedanken zu vermitteln, müssen wir uns eine andere ausdenken. Aber ohne an Klarheit zu verlieren – in Wirklichkeit bedeutet es sogar mehr Klarheit –, müssen wir für die wahre Naturwissenschaft wieder jene Haltung des ehrfürchtigen Staunens beanspruchen, die auch Mystiker wie Blake bewegte. Wahre Naturwissenschaft hat das gleiche Anrecht auf jenen Schauer im Rücken, der auf einer niedrigeren Ebene die Fans von Star Trek und Dr.   Who fasziniert und der auf der alleruntersten Stufe von Astrologen, Hellsehern und Fernsehwahrsagern profitabel zweckentfremdet wird.
    Die Zweckentfremdung durch Pseudowissenschaftler ist nicht die einzige Gefahr für unser Gefühl des Staunens. Eine andere droht durch populistische «Verdummung» – auch darauf werde ich später zurückkommen. Eine dritte ist die Feindseligkeit von Gelehrten, die in Zeitgeistdisziplinen zu Hause sind. So ist es zurzeit eine beliebte Marotte, in der Naturwissenschaft nur einen von vielen kulturellen Mythen zu sehen, mit nicht mehr Wahrheitsgehalt oder Gültigkeit als die Mythen jeder anderen Kultur. In den Vereinigten Staaten wird diese Haltung durch die Schuldgefühle wegen der entsetzlichen Behandlung der amerikanischen Ureinwohner genährt. Aber die Folgen dieser Einstellung nehmen manchmal lächerliche Züge an, so zum Beispiel im Fall des Kennewick-Menschen.
    Der Mensch von Kennewick ist ein Skelett, das 1996 im US-Bundesstaat Washington entdeckt und mit der Radiokarbonmethode auf ein Alter von über 9000 Jahren datiert wurde. Er faszinierte die Anthropologen, weil er anatomischen Indizien zufolge nicht mit den amerikanischen Ureinwohnern verwandt war und demnach vielleicht auf eine eigenständige, frühe Besiedelungswelle hinwies, die über die heutige Beringstraße oder vielleicht sogar aus Island kam. Man bereitete gerade die entscheidenden DNA-Untersuchungen vor, da wurde das Skelett von den Behörden beschlagnahmt; es sollte an Vertreter der örtlichen Indianerstämme übergeben werden, die es bestatten und alle weiteren Forschungen verbieten wollten. Natürlich führte das unter Naturwissenschaftlern und Archäologen zu einer Welle des Protestes. Selbst wenn der Kennewick-Mensch ein Vorläufer der heutigen Indianer war, ist es höchst unwahrscheinlich, dass ihn eine enge Verwandtschaft mit jenen Stämmen verbindet, die 9000 Jahre später zufällig in derselben Gegend leben.
    Die Ureinwohner haben in den Vereinigten Staaten beträchtlichen juristischen Einfluss und wahrscheinlich hätte man «den Alten» tatsächlich an die Stämme übergeben, aber dann nahm die Sache eine bizarre Wendung. Die Asatru Folk Assembly, eine Gruppe, welche die nordischen Gottheiten Thor und Odin anbetet, reichte eine eigene Klage ein und behauptete, der Kennewick-Mensch sei in Wirklichkeit ein Wikinger. Der nordischen Sekte – ihre Ansichten kann man in der Zeitschrift The Runestone vom Sommer 1997 nachlesen – wurde sogar gestattet, über den Knochen einen Gottesdienst abzuhalten. Das wiederum erboste die Gemeinschaft der Yakama-Indianer; ihr Sprecher fürchtete, die Wikinger-Zeremonie könne «verhindern, dass der Geist des Kennewick-Menschen seinen Körper findet». Der Zwist zwischen Indianern und Nordländern wäre durch einen DNA-Vergleich ohne weiteres beizulegen gewesen, und die nordische Sekte war sehr erpicht darauf, dass eine solche Untersuchung stattfand. Die naturwissenschaftliche Analyse der Überreste hätte mit Sicherheit

Weitere Kostenlose Bücher