Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)
Also, akzeptiere sie, wie sie nun mal sind. Das haben wir alle tun müssen. Uns blieb gar nichts anderes übrig, weil das Leben einfach weitergeht. Und schließlich bist du jetzt hier und darüber solltest du genauso glücklich sein wie wir. Da, hilf mir.“ Susanne drückte ihm mit gespielter Fröhlichkeit das Tablett mit dem Kaffeegeschirr in die Hände. „Lass uns in die Bibliothek gehen.“
„Das ist der Lieblingsplatz von Matthias.“
„Oh, es ist auch der meine“, versicherte sie ihm und ein eigenartiger Unterton schwang in ihrer Stimme mit.
„Ist Ean noch euer Gärtner?“
„Selbstverständlich. Es ist quasi sein Geburtsrecht. Er hat übrigens ein Haus unten im Dorf gekauft. Mit der Zeit ist es doch etwas eng geworden unter unserem Dach und inzwischen …“ Sie hielt inne, als sie ihren Sohn beobachtete, der mit angehaltenem Atem in der Tür stehengeblieben war, um die Atmosphäre der Bibliothek mit allen Sinnen in sich aufzunehmen.
Genauso hatte er diesen Raum in Erinnerung. Nichts war in all den Jahren verändert worden. Über dem Kamin der Bibliothek hing das Gemälde, das sein Großvater, Lord Tomás, von seinen Söhnen Matthias und dem unehelichen Aodhagán hatte malen lassen, als sie beide Kinder waren. Dass sie Halbgeschwister waren, hatte Matthias Clausing erst lange nach dem Tod des alten Grafen erfahren. Da war er, Manuel, gerade sieben Jahre alt gewesen, und sein Vater, nämlich ebendieser uneheliche Sohn des Grafen, ein Jahr zuvor in Afrika gewaltsam ums Leben gekommen.
Ein Schauer lief ihm über den Rücken und plötzlich hatte er das ungute Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Adrenalin schoss in sein Blut und sein Herzschlag beschleunigte sich beinahe schmerzhaft.
Etwas wa r anders!
Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen , während er sich umblickte. Er trat einen Schritt vor und bemerkte kaum, wie ihm seine Mutter das Tablett aus der Hand nahm und auf dem kleinen Tisch abstellte. Manuel erstarrte, als er die Fotografie der beiden Grafensöhne auf dem Schreibtisch sah. Es war das einzige Foto, auf dem sein leiblicher und sein Adoptivvater gemeinsam abgebildet waren. Aus diesem Grund hatte es seine Mutter stets gehütet wie einen Schatz. Und mehr als einmal hatte er sie dabei beobachtet, wie sie, wenn sie sich alleine glaubte, mit Tränen in den Augen davor gestanden hatte.
Doch damals hatte es noch nicht das schwarze Band gegeben, das um die rechte untere Ecke des Bilderrahmens gewunden war.
Sein Magen verkrampfte sich und seine Augen brannten. Wie betäubt drehte er sich zu seiner Mutter um, die ihn mit einem wehmütigen Zug um den Mund anschaute.
„Adrian war so alt wie du heute , als sie diese Aufnahme gemacht haben. Und er hatte denselben Dickschädel. Und dieses seltene Lächeln, das umso mehr betörte, wenn er sich denn doch einmal durchrang, es zu zeigen. Du bist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten.“
„M -Matthias?“, stieß er heiser hervor. „Was … was ist passiert? Ich war nur …“
Nur?! Es waren zehn Jahre vergangen, seit er aus dem Haus gerannt war, ohne ein einziges Wort des Abschieds an seine Familie gerichtet zu haben. Zehn verdammt lange Jahre! An dieser Tatsache änderte auch nichts, dass er oft an sie gedacht hatte. Und das hatte er, weiß Gott, getan! Jeden Tag während seines selbst gewählten Exils hatte er an seine Mutter und seine Brüder gedacht und an das Kind von Matthias, das geboren wurde, als er schon zur See fuhr.
Obwohl er es sich lange Zeit nicht hatte eingestehen wollen, hatte er sie stets vermisst und der Schmerz um den Verlust hatte auch nach all den Jahren nicht nachgelassen.
„Er hatte einen schweren Infarkt. Ich habe versucht, dich telefonisch zu erreichen, aber die Sekretärin des Flottenbereichsleiters sagte mir, du wärst auf See. Vermutlich hast du deswegen meine Post nicht rechtzeitig bekommen.“
Schamröte überflutete sein Gesicht. Sogar jetzt noch wollte sie ihn schützen, indem sie ihn von jeglicher Schuld an seinem jahrelangen, hartnäckigen Schweigen freisprach. Er hatte sie allein gelassen, dennoch machte sie ihm keine Vorwürfe. Sie wusste offenbar genau, dass er ihre Briefe erhalten hatte. Und tatsächlich hatte er jeden einzelnen aufbewahrt.
Ungeöffnet.
„Ich habe mich im Krankenhaus nach ihm erkundigt.“ Seine Hand zitterte, als er sich durch das Haar fuhr. „Der Arzt hat mir versichert, Matthias sei auf dem Weg der Besserung. Erst dann bin ich nach Deutschland geflogen, um mir ein Schiff
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