Der Erdbeerpfluecker
gar nicht. Er hat mich nur darum gebeten, keinem von uns zu erzählen. Er hat gesagt, wir müssten erst sicher sein.«
»Sicher sein? Wieso?«
»Sicher, dass wir uns wirklich lieben.« Plötzlich wurde sie ganz lebhaft. Ihre blassen Wangen röteten sich und ihre Augen glänzten. »Ich glaube, er hat genauso ein beschissenes Leben hinter sich wie ich. Er hält keine Enttäuschung mehr aus. Deshalb versucht er, sich abzusichern.«
»Und wie will er das machen?«
»Indem wir warten.«
»Warten? Worauf?«
Sie senkte den Kopf und flüsterte fast. »Er berührt mich nicht. Er küsst mich nicht mal. Nicht richtig, meine ich. Er küsst mich, wie ein Bruder seine Schwester küsst.«
»Aber er hat doch schon hier übernachtet.«
Caro zupfte und zog an ihren Fingern, dass es knackte. Sie schien unter Strom zu stehen.
»Hat er oder hat er nicht?«
»Ja. Aber er hat mich nicht angerührt.« Sie beugte sich vor, betrachtete forschend mein ratloses Gesicht. »Glaubst du, er ist schwul?«
»Woher soll ich das wissen, Caro? Ich hab ihn noch nie gesehen. Ich weiß ja nicht mal, wie er heißt.«
»Ich auch nicht.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Du weißt nicht, wie er...« Ich verstand überhaupt nichts mehr. Was war das für eine Beziehung, in der alles ein Geheimnis blieb? »Und er? Kennt er deinen Namen auch nicht?«
»Blöde Frage.« Sie wischte sich über die Augen und grinste. »Den hab ich gleich am ersten Abend ausgeplappert.«
»Und wie sprichst du ihn an?«
Sie sah an mir vorbei. »Ich denke mir jeden Tag einen anderen Namen für ihn aus. Es ist so was wie ein Spiel. Obwohl ich nicht weiß, was ihm daran so gefällt. Vielleicht ist es wie bei Rumpelstilzchen - sobald ich seinen richtigen Namen errate, habe ich mir seine Liebe verdient.« Sie lächelte schief.
Ich stand auf, hockte mich neben sie und nahm ihre Hand. »Willst du einen Rat, Caro?«
Sie hob die Schultern und wich meinem Blick aus.
»Lass die Finger von ihm. Ich hab ein komisches Gefühl.«
Langsam erhob sie sich und stand klein, dünn und verloren in meinem Zimmer. »Geht nicht mehr«, flüsterte sie. »Ich hab mich rettungslos verliebt.«
»Auf immer und ewig?« Ich lachte, um sie zum Lachen zu bringen, aber sie lachte nicht mit.
»Bis dass der Tod uns scheidet«, sagte sie ruhig. Und dann tat sie etwas Merkwürdiges. Sie umfasste mein Gesicht mit beiden Händen und küsste mich auf die Wangen. »Danke für deine Freundschaft, Jette. Das wollte ich dir immer schon sagen.«
In der Tür winkte sie mir noch einmal zu.
Ich legte mich wieder aufs Bett, um mich weiter mit dem Manuskript meiner Mutter zu beschäftigen. Über Caro und ihren seltsamen Verehrer würde ich nachdenken, nachdem ich mit meiner Mutter telefoniert hätte. Und am Abend würde ich noch einmal mit Caro reden. Damit sie nicht wieder Mauern aus Minderwertigkeitskomplexen um sich aufbaute.
Ich nahm den Kugelschreiber und notierte eine Bemerkung am Rand der ersten Seite. Eins nach dem andern.
Caro zündete die Kerzen an, die sie auf dem Rand der Badewanne aufgestellt hatte. Auch wenn es für Kerzen eigentlich viel zu hell war, war es schön, sie brennen zu sehen. Sie hatte sechs Euro zwanzig für das Badeöl ausgegeben. Obwohl sie beinah pleite war. Der Schaum knisterte, als sie in die Wanne stieg.
Sie hatte mal einen Film über Kleopatra gesehen. Vor allem die Badeszenen waren ihr im Gedächtnis geblieben. Luxus pur. Und für jeden Handgriff eine Dienerin. Kleopatra wurde gewaschen, gesalbt, parfümiert und angekleidet. Die Zutaten für ihr Badewasser wurden je nach ihrer Stimmung gemischt.
Ob es wirklich stimmte, dass sie in Eselsmilch gebadet hatte?
Der Schaum prickelte auf der Haut und fühlte sich kühl an. Das Wasser darunter war blau und so heiß, dass Caro ganz kurz eine Gänsehaut bekam.
Sie glitt langsam hinein und schloss die Augen. Das alles tat sie für ihn. Für ihn wollte sie schön sein. Besonders heute Abend.
Hatten sie nicht lange genug gewartet? War es nicht endlich Zeit für einen richtigen Kuss? Eine richtige Berührung?
Sie konnte sich vorstellen, wie sich seine Hände auf der Haut anfühlen würden. Besser als alles, was sie je erlebt hatte.
Für ihn hatte sie sich die Haare geschnitten. Für ihn wollte sie sich nach dem Bad die Nägel lackieren. Obwohl sie eigentlich viel zu kurz waren. Sie hatte das Nägelkauen immer noch nicht aufgegeben.
»Für dich«, flüsterte sie. »Für dich. Für dich. Für dich.«
Wie würde
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