Der Erdbeerpfluecker
sie es mit jedem Gefühl tat, das ihre innere Ruhe bedrohte. Was ihr normalerweise dabei half, war das Schreiben.
Und so war sie von der Beerdigung aus in die Mühle zurückgekehrt, hatte die Katzen gefüttert, sich einen Tee aufgebrüht, Mischung
Winterzauber
, auch wenn der Winter weit weg war, und die Tasse mit auf die Terrasse hinausgenommen, um sich auf das Schreiben einzustimmen.
Es war ihr nicht gelungen. Den ganzen Tag lang war sie unfähig gewesen, irgendetwas zu tun, außer sich Sorgen zu machen. Sie hatte mit ihrer Mutter telefoniert und danach mit Tilo, der sich auf einem Kongress in Amsterdam befand. Auch die Gespräche hatten ihr nicht geholfen.
Nach einer schlaflosen Nacht saß sie nun wieder auf der Terrasse, wieder vor einer Tasse
Winterzauber
. Vielleicht würde sie heute einige Zeilen schreiben können.
Der Hochsommer war sehr früh gekommen in diesem Jahr. Er glühte förmlich in den Wiesen. Imke betrachtete die friedlich grasenden Schafe. Die Katzen, die faul im Schatten der Scheune lagen. Den Bussard, der auf einem Zaunpfosten saß und ihren Blick reglos zurückgab.
Die vertrauten Bilder hatten etwas Tröstliches. Aber es gelang ihnen nicht, die Angst zu durchdringen, in der Imke eingeschlossen war. Wie konnte Jette sich so in Gefahr bringen? Hatte sie den Verstand verloren?
Den Mörder direkt anzusprechen. Ihm sogar zu drohen!
Ihr wurde eiskalt. Vielleicht hatte der Mörder inmitten der Gäste in der Trauerhalle gesessen. Vielleicht hatte er Jette zugehört, vielleicht sogar ihre Herausforderung angenommen!
Imke spürte ein taubes Gefühl in den Händen. Sie stellte die Tasse auf den Tisch zurück und massierte sich die Finger. Wie sollte sie auch nur einen einzigen Satz zustande bringen, wenn sie so erregt war?
Es klingelte. Imke stand auf und ging ins Haus, um zu öffnen.
Draußen stand Tilo, sein ganz spezielles Lächeln auf den Lippen. »Ich hatte Sehnsucht nach dir«, sagte er und zog sie an sich.
»Wieso bist du nicht in Amsterdam?« Imke küsste die Stelle an seinem Hals, die so wunderbar empfindlich war. Sie konnte den Schweiß unter seinen Armen riechen. Irgendwie tat ihr das gut. »Der Kongress ist doch noch nicht zu Ende.«
»Den letzten Tag hab ich mir geschenkt.« Er hielt sie ein Stück von sich ab und sah sie forschend an. »Gut siehst du aus. Nur ein bisschen blass um die Nase. Müde?«
Sie schüttelte den Kopf. Ging voran in die Küche. Nahm eine Tasse für ihn aus dem Schrank. »Ich trinke gerade Tee. Willst du auch einen?«
ßberflüssige Frage. Er war süchtig nach Tee und lehnte eine Einladung dazu niemals ab. Allerdings gehörte
Winterzauber
nicht zu seinen bevorzugten Marken. Aber er beklagte sich nicht. Er wirkte besorgt.
»Gibt es ein Problem?«, fragte Imke draußen auf der Terrasse.
»Das wüsste ich gern von dir.« Er lehnte sich abwartend auf seinem Stuhl zurück.
»Denkst du an etwas Bestimmtes?« Umwerfend sah er aus. Leicht gebräunt, das blonde Haar schon fast ergraut. Selbst die Geheimratsecken standen ihm. Geheimratsecken, dachte Imke. Ich muss unbedingt mal nachschlagen, warum das so heißt.
»Genau gesagt, an Jette und ihr gefährliches Spiel mit dem Halskettenmörder.«
Verblüfft starrte Imke ihn an. »Woher weißt du denn...«
»Ich lese Zeitung.«
»Ja. Aber die Zeitungen in Amsterdam...«
»Es gibt auch deutsche Zeitungen dort. Und die haben sämtlich darüber berichtet.
Mädchen droht dem Mörder ihrer Freundin. Mädchen jagt Halskettenkiller
. So was lässt sich die Presse doch nicht entgehen. Vor allem dann nicht, wenn dieses Mädchen die Tochter der Bestsellerautorin Imke Thalheim ist.«
»Diese elenden Schmierfinken!«
»Sie leben von ihren Promigeschichten. Das weißt du selbst doch am besten, Ike.«
Er war der Einzige, der sie Ike nannte. Ihren Kosenamen zu hören, rührte sie dermaßen, dass sie große Lust bekam, sich an seiner Schulter auszuweinen. »Und deshalb bist du früher zurückgekommen?«, fragte sie.
»Ich konnte mir doch denken, dass du halb verrückt bist vor Angst.«
»Dann hilf mir«, sagte sie und versuchte, das Zittern ihrer Hände, das die Taubheit abgelöst hatte und allmählich auf ihren ganzen Körper übergriff, wegzuatmen. Tief einatmen, dachte sie. Und aus. Und ein. Und aus. »Sag mir, was wir tun können.«
Kapitel 11
Eigentlich hätte er am liebsten seine Sachen gepackt und wäre weitergezogen. Die Gegend, die Arbeitskollegen, die Hitze, alles widerte
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