Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee
Der Hofstaat und die Emissäre warteten. »Ihr seid willkommen hier, Prinzessin«, sprach er zu der verschleierten Gestalt. Sie regte und rührte sich nicht.
»Die Prinzessin soll im Flusshaus logieren, und alles soll so sein, wie sie es wünscht«, fuhr Lebannen fort.
Das Flusshaus war ein wunderschönes kleines Bauwerk am Nordrand der Stadt, eingefügt in die alte Stadtmauer, mit Terrassen, die über den kleinen Fluss Serrenen hinaus gebaut waren. Königin Heru hatte es einst errichtet, und es ward oft das Haus der Königin genannt. Als Lebannen den Thron bestiegen hatte, hatte er es renovieren und mit neuem Mobiliar ausstatten lassen, zusammen mit dem Maharionspalast, dem so genannten Neuen Palast, in welchem er Hof hielt. Das Flusshaus benutzte er nur für Sommerfeste und mitunter als Refugium für sich selbst.
Ein leises Raunen ging durch die Schar der Hofbediensteten. Im Haus der Königin?
Nach dem Austausch der gebotenen Artigkeiten mit den kargischen Emissären verließ Lebannen das Audienzzimmer. Er begab sich in sein Ankleidezimmer, wo er das höchste Maß an Zurückgezogenheit finden konnte, das einem Monarchen überhaupt vergönnt ist. Allein Eiche, sein alter Diener, den er seit seiner frühesten Kindheit kannte, war jetzt noch bei ihm.
Der König warf die goldverzierte Schriftrolle auf einen Tisch. »Käse in einer Rattenfalle«, stieß er hervor. Er bebte vor Zorn. Er riss den Dolch, den er stets am Gürtel trug, aus der Scheide und stieß ihn mitten durch die Botschaft des Hohen Königs. »Eine Katze im Sack. Eine Handelsware. Der Ring an ihrem Arm und die Zwinge um meinen Hals.«
Eiche starrte ihn in blanker Bestürzung an. Prinz Arren von Enlad hatte noch nie die Fassung verloren. Als Kind hatte er vielleicht einmal für einen kurzen Augenblick geweint, ein kurzes, bitteres Schluchzen vielleicht, aber das war auch schon alles gewesen. Er war zu gut erzogen, zu diszipliniert, um sich zu einem Zornesausbruch hinreißen zu lassen. Und als König, ein König zumal, der sein Reich dadurch errungen hatte, dass er das Land der Toten durchquert hatte, konnte er streng sein, ja hart gar, war aber stets, so dachte Eiche, zu stolz, zu stark, um sich dem Zorn hinzugeben.
»Sie werden mich nicht benutzen!«, dröhnte Lebannen, wobei er den Dolch abermals durch die Schriftrolle stieß, das Antlitz so düster und blind vor Wut, dass der alte Mann in echter Furcht vor ihm zurückwich.
Lebannen gewahrte ihn. Er gewahrte immer die Menschen, die um ihn waren.
Er steckte seinen Dolch wieder ein und sagte, mit beherrschterer Stimme jetzt: »Eiche, bei meinem Namen, eher werde ich Thol und sein Königreich zerstören, als dass ich mich von ihm als Fußschemel zu seinem Thron benutzen lasse.« Dann holte er tief Luft und setzte sich, damit ihm Eiche die schwere, golddurchwirkte Staatsrobe von den Schultern heben konnte.
Eiche ließ nie irgendjemandem gegenüber auch nur ein Sterbenswörtchen über diese Szene verlauten, aber es erblühten natürlich sofort Spekulationen über die Prinzessin der Kargs und darüber, was der König mit ihr machen würde - oder was er tatsächlich schon gemacht hatte.
Er hatte nicht gesagt, dass er das Angebot annehmen würde, die Prinzessin zu seiner Braut zu machen. Denn alle waren sich darüber einig, dass sie ihm als seine Braut offeriert worden war; die Worte über Elfarrans Ring verschleierten nur dürftig das Angebot oder den Handel oder die Drohung. Aber er hatte es auch nicht abgelehnt. Seine Antwort (die endlosen Analysen unterzogen ward) hatte darin bestanden, dass er sie willkommen hieß, dass alles so sein solle, wie sie es wünsche, und dass sie im Flusshaus residieren solle, dem Haus der Königin. War das bedeutungsvoll? Gewiss. Aber andererseits, warum nicht im Neuen Palast? Warum schickte er sie zum anderen Ende der Stadt?
Seit Lebannens Krönung waren ständig Damen aus noblen Häusern und Prinzessinnen der alten Königsfamilien von Enlad, Ea und Schelieth auf Besuch bei Hofe gekommen. Sie waren stets mit allen königlichen Ehren empfangen und aufgenommen worden, und der König hatte auf ihren Hochzeiten getanzt, als sie sich eine nach der anderen mit Edelmännern oder wohlhabenden Gemeinen vermählt hatten. Es war kein Geheimnis, dass Lebannen die Gesellschaft von Frauen schätzte, wie auch ihren Rat, dass er gern mit einem hübschen Mädchen tändelte und gern eine intelligente Frau dazu einlud, ihn zu beraten, zu necken oder zu trösten. Aber von keinem
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