Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

geschnaubt und sich mit Macht dagegen gestemmt, den Landungssteg hinaufzugehen. Tehanu hatte ein paar Worte mit dem Pfleger gewechselt. Anschließend hatte sie die Zügel des Pferdes genommen, begütigend auf es eingeredet, und dann waren sie gemeinsam den Landungssteg hinaufgegangen.
    Schiffe sind kleine, beengte Häuser; Lebannen hatte gegen Mitternacht zwei der Pferdepfleger auf dem Achterdeck leise miteinander reden gehört. »Sie hat das richtige Händchen«, hatte einer gemeint, worauf der andere, ein der Stimme nach jüngerer, versetzt hatte: »Ja, das hat sie, aber sie ist grässlich anzuschauen, nicht?« Darauf der Erste: »Wenn das ein Ross nicht stört, warum sollte es dich dann stören?« Und der andere: »Ich weiß nicht, aber es stört mich.«
    Jetzt, da sie vom Sandufer des Onneva in die Vorgebirge ritten, wo der Pfad breiter wurde, lenkte Tosla sein Pferd neben das des Königs. »Sie soll unser Dolmetsch sein, nicht wahr?«, fragte er.
    »Wenn sie kann.«
    »Nun, sie ist tapfrer, als ich gedacht hätte. Wenn ihr das beim ersten Mal, da sie mit einem Drachen sprach, widerfuhr, wird es wahrscheinlich wieder passieren.«
    »Was meinst du?«
    »Sie ward halb zu Tode gesengt.«
    »Nicht von einem Drachen.«
    »Von wem dann?«
    »Von ihren eigenen Leuten.«
    »Wie das?«, fragte Tosla mit einer Mischung aus Verblüffung und Empörung im Gesicht.
    »Es waren Landstreicher, Diebe. Sie war fünf oder sechs Jahre alt. Was immer sie tat oder die anderen taten, es endete damit, dass sie bewusstlos geschlagen und ins Lagerfeuer gestoßen wurde. Wohl in dem Glauben, sie sei tot oder werde sterben und das Ganze werde wie ein Unfall aussehen, machten sie sich aus dem Staub. Dorfbewohner fanden sie, und Tenar nahm sie an Kindes statt auf.«
    Tosla kratzte sich am Ohr. »Das ist eine hübsche Geschichte über Mitmenschlichkeit. Sie ist also auch nicht die Tochter des alten Erzmagiers? Aber was meinen sie dann damit, wenn sie sagen, sie sei das Balg eines Drachen?«
    Lebannen war mit Tosla zur See gefahren, hatte vor Jahren bei der Belagerung Sorras Seite an Seite mit ihm gefochten und kannte ihn als einen tapferen, eifrigen Mann mit einem kühlen Kopf. Seinen Ärger über Toslas Grobheit lastete er daher seiner eigenen Dünnhäutigkeit an. »Ich weiß nicht, was sie damit meinen«, antwortete er freundlich. »Alles, was ich weiß, ist, dass der Drache sie Tochter nannte.«
    »Der Rok-Zauberer da, dieser Onyx, konnte gar nicht schnell genug sagen, dass er bei dieser Sache nicht von Nutzen sei. Aber er spricht die Alte Zunge, nicht wahr?«
    »Ja. Er könnte dich mit ein paar Worten davon zu Asche verbrennen. Wenn er das noch nicht getan hat, dann aus Respekt vor mir, nicht vor dir, denke ich.«
    Tosla nickte. »Das weiß ich.«
    Sie ritten den ganzen Tag hindurch so schnell, wie sie es den Pferden zumuten konnten, und kamen bei Anbruch der Nacht in eine kleine Stadt in den Bergen, wo die Pferde versorgt wurden und die Reiter in mehr oder weniger unbequemen Betten nächtigen konnten. Diejenigen von ihnen, die das Reiten nicht gewohnt waren, stellten fest, dass sie kaum noch in der Lage waren zu gehen. Die Einwohner hatten noch nichts von Drachen gehört und waren bloß überwältigt von dem Schreck, den das Auftauchen einer ganzen Gruppe reicher Fremder erzeugte, die zu Pferde geritten kamen und Hafer und Betten verlangten und dafür mit Silber und Gold bezahlten.
    Die Reiter brachen lange vor dem Morgengrauen auf. Von den sandigen Ufern des Onneva bis nach Resbel waren es fast hundert Meilen. Dieser zweite Tag würde sie über den niedrigen Pass der Faliern-Berge und auf der Westseite wieder hinunter ins Tal bringen. Yenay, einer von Lebannens treuesten Offizieren, ritt ein gutes Stück voraus, Tosla bildete die Nachhut, und Lebannen führte die Hauptgruppe an. Er trottete halb schlafend in der dumpfen Stille vor dem Morgengrauen dahin, als von vorn sich nähernder Hufschlag ihn weckte. Yenay kam angesprengt. Lebannen schaute dorthin, wohin der ausgestreckte Arm des Mannes deutete.
    Sie waren gerade aus dem Wald gekommen und befanden sich am Gipfel eines offenen Berghanges, von wo aus sie durch das klare Halblicht des frühen Morgens bis zum Pass schauen konnten. Die Berge zu beiden Seiten des Passes hoben sich schwarz gegen den rötlichen Glanz einer wolkigen Morgendämmerung ab.
    Aber sie blickten nach Westen.
    »Das ist näher als Resbel«, sagte Yenay. »Fünfzehn Meilen vielleicht.«
    Tehanus Stute, wiewohl klein