Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee
bitte.«
Lebannen verbeugte sich vor ihr und blickte zu Tenar, die sogleich zu ihrer Tochter trat und den Arm um sie legte. Und dann gingen sie zusammen davon auf dem sonnenbeschienenen Weg, der an den Weihern und Springbrunnen vorbeiführte.
Die vier Männer setzten sich wieder und sagten einige Minuten nichts.
Schließlich meinte Lebannen: »Ihr hattet Recht, Meister Onyx.« Und zu den anderen: »Meister Onyx erzählte mir diese Geschichte von dem Drachen-Weib Irian, nachdem ich ihm etwas von Tehanu erzählt hatte: Wie Tehanu als Kind den Drachen Kalessin nach Gont rief und mit ihm in der Alten Sprache sprach und Kalessin sie >Tochter< nannte.«
»Majestät, dies ist sehr seltsam, dies ist eine seltsame Zeit, wenn ein Drache ein Weib ist und wenn ein unwissendes Mädchen in der Sprache des Erschaffens spricht!« Onyx war tief und sichtlich erschüttert, ja entsetzt. Erle sah dies und fragte sich, warum er selbst keine solche Angst verspürte. Vielleicht, dachte er, weil er nicht genug wusste, um Angst zu haben oder wovor er Angst haben sollte.
»Aber es sind alte Geschichten«, erwiderte Tosla. »Habt Ihr sie auf Rok nicht gehört? Vielleicht halten Eure Mauern sie fern. Es sind bloß Geschichten, die sich die einfachen Leute erzählen. Es gibt sogar Lieder darüber. Zum Beispiel das Seemannslied vom Mädchen von Belilo, das davon erzählt, wie ein Seemann in jedem Hafen ein hübsches Mädchen weinend zurücklässt, bis schließlich eines der hübschen Mädchen auf Schwingen aus Messing hinter seinem Boot herfliegt, ihn herauszerrt und vertilgt.«
Onyx schaute Tosla angewidert an. Aber Lebannen lächelte und sagte: »Die Frau von Kemay ... Der alte Meister des Erzmagiers, Aihal, genannt Ogion, erzählte Tenar von ihr. Sie war ein altes Dorfweib und lebte wie ein solches. Sie lud Ogion in ihre Hütte ein und servierte ihm Fischsuppe. Aber sie sagte, die Menschheit und die Drachenheit seien einst eins gewesen. Sie selbst sei ebenso Drache wie Weib. Und da Ogion Magier war, sah er sie als Drachen. So wie Ihr Irian saht, Onyx«, endete er, an den Zauberer gewandt.
Mit steifen Worten, die er allein an den König richtete, berichtete Onyx: »Nachdem Irian Rok verlassen hatte, zeigte uns der Namengeber Stellen in den ältesten Lehrbüchern, die immer schon obskur gewesen waren, aber die man so deuten konnte, dass sie von Wesen sprachen, die beides waren, Mensch und Drache. Und von einem Zwist oder einer großen Zwietracht unter ihnen. Aber nichts davon ist klar, zumindest nicht für unser Verständnis.«
»Ich hoffte, Tehanu könnte Klärung herbeiführen«, erwiderte Lebannen. Seine Stimme war ruhig und gleichmütig, sodass Erle nicht herauszuhören vermochte, ob er die Hoffnung schon aufgegeben hatte oder sie immer noch hegte.
Da kam ein Mann den Pfad herunter zu ihnen gehastet, ein grauhaariger Soldat aus der Garde des Königs. Lebannen schaute sich um, stand auf und ging ihm entgegen. Sie sprachen leise eine Minute miteinander. Der Soldat entfernte sich wieder, und der König kehrte zu seinen Gefährten zurück. »Es gibt Neuigkeiten«, sagte er, und seine Stimme hatte einen harten, entschlossenen Klang. »Über dem Westen von Havnor sind große Drachenschwärme aufgetaucht. Sie haben Wälder in Brand gesetzt, und die Besatzung eines Küstenschiffes meldet, Menschen, die nach Südhafen fliehen, hätten ihnen berichtet, die Stadt Resbel stehe in hellen Flammen.«
Noch in derselben Nacht trug des Königs schnellstes Schiff ihn und seine Leute quer durch die Bucht von Havnor, angetrieben von dem Magierwind, den Onyx entfesselt hatte. Bei Tagesanbruch erreichten sie die Mündung des Onneva-Flusses, wohl unter der Schulter des Berges Onn. Mit ihnen wurden elf Rösser ausgeschifft, prachtvolle, starke Geschöpfe mit schlanken Läufen aus den königlichen Ställen. Pferde waren selten auf allen Inseln außer auf Havnor und Semel. Tehanu kannte wohl Esel sehr gut, aber sie hatte noch nie zuvor ein Pferd gesehen. Einen Großteil der Nacht hatte sie bei ihnen und ihren Pflegern verbracht und hatte geholfen, sie zu bändigen und zu beruhigen. Es waren wohlerzogene, manierliche Tiere, aber sie waren nicht an Seereisen gewöhnt.
Als es daran ging aufzusitzen, dort auf dem sandigen Ufer des Onneva, hatte Onyx ziemliche Angst und musste erst von den Pflegern unterwiesen und ermutigt werden; Tehanu indessen saß so flugs im Sattel, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Sie nahm die Zügel in ihre verkrüppelte Hand,
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