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Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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der Zauberer, während Tehanu regungslos dastand und dem Drachen nachschaute.
    Schließlich drehte sie sich um. Sie sah klein und zerbrechlich aus auf dem weiten Hang im grauen Dämmerlicht des Morgens. Lebannen schwang sich von seinem Ross und eilte zu ihr. Er glaubte sie erschöpft und verängstigt vorzufinden und streckte die Hand aus, um sie zu stützen, aber sie lächelte ihn an. Ihr Antlitz, halb grässlich, halb wunderschön, leuchtete im roten Licht der noch nicht aufgegangenen Sonne.
    »Sie werden nicht wieder zuschlagen. Sie werden in den Bergen warten«, sagte sie.
    Dann blickte sie in der Tat um sich, als wüsste sie nicht, wo sie war, und als Lebannen ihren Arm ergriff, ließ sie ihn gewähren; doch das Feuer und das Lächeln verharrten in ihrem Gesicht, und sie ging leichten Schrittes.
    Während die Pfleger die Pferde hielten, die bereits auf dem taufeuchten Grase weideten, kamen Onyx, Tosla und Yenay und scharten sich um sie, jedoch in respektvoller Distanz. Onyx sagte: »Meine Lady Tehanu, ich habe noch nie etwas so Tapferes gesehen.«
    »Ich auch nicht«, pflichtete ihm Tosla bei.
    »Ich hatte Angst«, sagte Tehanu mit einer Stimme, in der keine Emotionen mitschwangen. »Aber ich nannte ihn Bruder, und er nannte mich Schwester.«
    »Ich konnte nicht alles verstehen, was Ihr sagtet«, gestand der Zauberer. »Ich habe nicht so viel Kenntnis von der Alten Sprache wie Ihr. Wollt Ihr uns erzählen, worüber Ihr spracht?«
    Sie sprach langsam, bedächtig, den Blick nach Westen gewandt, wohin der Drache geflogen war. Das dunkle Rot des fernen Feuers verblasste, als es im Osten heller wurde. »Ich fragte ihn: >Warum versengt ihr des Königs Insel?< Und er antwortete: >Es wird Zeit, dass wir wieder unsere eigenen Länder bekommene Und ich sagte: >Hat der Älteste euch geheißen, sie euch mit Feuer zu nehmen? < Darauf sagte er, dass der Älteste, Kalessin, mit Orm Irian jenseits des Westens gegangen sei, um mit dem anderen Wind zu fliegen. Und er meinte, die jungen Drachen, die hier auf den Winden der Welt geblieben seien, sagten, die Menschen seien Eidbrecher, die den Drachen ihr Land gestohlen hätten. Sie erzählen sich, dass Kalessin nimmer zurückkehren werde und sie nun nicht länger warten, sondern die Menschen aus allen westlichen Landen vertreiben würden. Doch jüngst sei Orm Irian zurückgekehrt und halte sich auf Paln auf, erzählte er. Und ich sagte zu ihm, dass er sie bitten solle, hierher zu kommen. Und er antwortete, sie werde zu Kalessins Tochter kommen.«

Kapitel III
    Der Drachenrat
     
    Vom Fenster ihres Zimmers im Palast aus schaute Tenar zu, wie das Schiff auslief, das Lebannen und ihre Tochter hinaus in die Nacht trug. Sie war nicht mit Tehanu hinunter zum Kai gegangen. Es war ihr schwer, sehr schwer gefallen, sie nicht auf diese Reise zu begleiten. Tehanu hatte sie inständig gebeten, ja angefleht, sie, die nie um etwas bat. Sie weinte niemals, konnte nicht weinen, aber sie hatte schluchzend hervorgestoßen: »Aber ich kann nicht, ich kann nicht allein fahren! Komm mit mir, Mutter!«
    »Mein Liebstes, mein Herz, wenn ich dir diese Angst ersparen könnte, würd ich's tun; siehst du denn nicht, dass ich's nicht kann? Ich habe für dich getan, was ich konnte, meine Feuerflamme, mein Stern. Der König hat Recht - nur du, du allein, vermagst es.«
    »Aber wenn du einfach nur dabei wärst, sodass ich wüsste, dass du in meiner Nähe bist...«
    »Ich bin hier, ich bin immer hier. Was könnte ich dort anderes tun, als euch zur Last zu fallen? Ihr müsst schnell fahren, es wird eine beschwerliche Reise sein. Ich würde euch nur aufhalten. Und du würdest womöglich Angst um mich haben. Du brauchst mich nicht. Das musst du lernen. Du musst gehen, Tehanu.«
    Und dann hatte sie ihrem Kind den Rücken zugekehrt und die Kleider ausgesucht, die Tehanu mitnehmen sollte, schlichte, praktische Sachen, nicht die bunten, feinen Kleider, die sie hier im Palast trugen: ihr derbes Schuhwerk, ihren guten, festen Mantel. Und wenn sie geweint hatte, während sie die Sachen zusammengesucht hatte, so hatte sie's ihrer Tochter nicht gezeigt.
    Tehanu hatte wie perplex dagestanden, gelähmt vor Angst. Als Tenar ihr die Kleider gegeben und sie aufgefordert hatte, sie anzuziehen, hatte sie gehorcht. Als des Königs Leutnant, Yenay, geklopft und gefragt hatte, ob er das Fräulein Tehanu hinunter zum Kai geleiten könne, hatte sie ihn angestarrt wie ein begriffsstutziges Schaf.
    »Geh jetzt«, hatte Tenar gesagt. Sie

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