Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
der Regen auf ihre Rücken prasselte und die Trommel im Donner des Sturmes wie ein Herzschlag dröhnte.
Ein Mann kam und übernahm Geds Platz und schickte den Jungen zum Kapitän, der im Bug des Schiffes stand. Regenwasser strömte vom Saum seines Umhangs, aber wie ein Weinfaß, rund und fest, stand er auf seinem winzigen Deck. Auf Ged herabschauend, fragte er: »Kannst du diesen Wind stillen, Junge?«
»Nein.«
»Hast du Macht über Eisen?«
Was er damit meinte, war Ged klar. Er wollte, daß die Nadel im Kompaß sich nach ihm, nicht nach dem Norden richte, und ihnen den Weg nach Rok zeige. Diese Kunst war ein Geheimnis der Seemeister, und wiederum mußte er verneinen.
»Dann bleibt uns nichts übrig« – die mächtige Stimme des Schiffers übertönte Wind und Wellen –, »und du mußt in Hort ein Schiff finden, das dich nach Rok zurückbringt. Rok muß westlich von uns liegen, und nur Zauberei kann uns dorthin, durch dieses Wetter, bringen. Wir sind gezwungen, uns südlich zu halten.«
Das gefiel Ged ganz und gar nicht. Viel Übles hatte er von Matrosen über diese Stadt gehört: von der rohen Gewalt, die dort herrschte, von dem verbotenen Handel, der dort getrieben wurde, vom Menschenhandel und von den Sklaven, die in den Südbereichen verkauft wurden. Er kehrte zurück an seinen Platz und zog wieder, so fest er konnte, am Ruder, zusammen mit seinem Genossen, einem kräftigen Burschen aus Andrad. Er hörte die Trommel den Takt schlagen und sah, wie die Laterne vom Wind hin- und hergerissen wurde, ein winziger Lichtfleck in der regennassen Dunkelheit. Sooft er konnte, schaute er nach Westen; und einmal, als sie hoch auf einem Wellenkamm ritten, sah er einen kurzen Augenblick lang ein Licht zwischen den Wolken, wie es die letzten Strahlen der untergehenden Sonne hervorbringen, aber dieses Licht war nicht rot, sondern weiß.
Sein Rudergefährte hatte es nicht gesehen, aber Ged rief es den anderen zu. Der Steuermann paßte auf und schaute jedesmal, wenn sie auf eine Welle gehoben wurden, danach aus, und als Ged es wiedersah, sah auch er das Licht, aber er rief, daß es das Licht der untergehenden Sonne sei. Daraufhin rief Ged einen der wasserschöpfenden Burschen zu sich und bat ihn, eine kurze Weile seinen Platz zu übernehmen, während er sich zwischen den Ruderbänken hindurchschlängelte, an den geschnitzten Bug klammerte, denn die rollende See warf das Boot von einer Seite auf die andere, und zum Kapitän hinaufrief: »Das Licht dort drüben ist Rok!«
»Ich hab kein Licht gesehen!« brüllte der Kapitän, aber noch während er sprach, deutete Ged nach Westen, und alle nahmen jetzt deutlich ein helles Glimmen wahr, das sich über den stürmenden, tobenden Schaum des Meeres erhob.
Nicht seinem Passagier zuliebe, sondern um sein Schiff der Gefahr des Sturms zu entheben, rief der Kapitän seinem Steuermann zu, den Kurs zu ändern und auf das Licht zuzusteuern. Zu Ged aber sagte er: »Junge, du redest wie ein Seemeister, aber das kann ich dir sagen: Wenn du uns in diesem Wetter irreführst, werfe ich dich über Bord, und du kannst nach Rok schwimmen!«
Jetzt mußten sie gegen den Wind rudern, während sie vorher mit dem Wind liefen, und ihre Mühsal verdoppelte sich. Die gegen das Boot schlagenden Wellen versuchten das Schiff vom Kurs ab nach Süden zu drängen, es rollte und schlingerte und füllte sich so schnell mit Wasser, daß das Schöpfen keinen Augenblick lang ausgesetzt werden konnte; die Ruderer mußten doppelt aufpassen, denn im rollenden Schiff bestand die Gefahr, daß die schweren Ruder während des Ziehens aus dem Wasser gehoben und die Ruderer unter ihren Bänken landen würden. Es war fast ganz dunkel unter den Wetterwolken, aber ab und zu sahen sie das Licht im Westen, oft genug, um den Kurs nicht zu verlieren, und sie mühten sich weiter ab. Endlich ließ der Sturm etwas nach, und das Licht über ihnen wurde heller. Sie ruderten weiter, und als hätten sie einen Vorhang durchbrochen, fanden sie sich plötzlich, von einem Ruderschlag zum anderen, in einer ruhigen See und unter einem klaren Himmel, auf denen noch das späte Licht eines Sonnenuntergangs lag. Über dem hellen Wellenschaum sahen sie einen hohen, runden grünen Berg und an dessen Fuß eine Stadt, die eine kleine Bucht umschloß, in der Schiffe ankerten – ein Bild der Ruhe und des Friedens.
Der Steuermann lehnte sich auf sein langes Ruder und wandte sich gegen den Kapitän: »Ist das nun richtiges Land oder
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