Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
Hexerei?«
»Paß auf und halt deinen Kurs, du Schafskopf! Rudert, ihr kraftlosen Sklavensöhne! Dies sind die Bucht von Thwil und der Kogel von Rok, jeder Narr kann das sehen! Rudert!«
Dem Takt der Trommel gehorchend, ruderten sie erschöpft in die Bucht. Dort war es so ruhig, daß sie die Stimmen der Menschen oben in der Stadt und das Läuten einer Glocke vernehmen konnten, und nur ganz in der Ferne hörten sie das Zischen und Wüten des Sturmes. Dunkle Wolken erhoben sich nördlich, östlich und südlich eine Meile entfernt von der Insel, aber über Rok erschien ein Stern nach dem anderen am klaren, stillen, ruhigen Himmel.
Die Zaubererschule
GED VERBRACHTE DIE NACHT auf der Schatten und verabschiedete sich früh am nächsten Morgen von seinen Schiffsgefährten, die ihm muntere Worte nachriefen und alles Gute wünschten, während er die Verladerampe hinauflief. Die Stadt Thwil ist nicht groß, die wenigen Häuser sind hoch und schmal und drängen sich über engen, steilen Gassen zusammen. Aber für Ged war es eine Stadt, und da er sich nicht auskannte, fragte er den ersten Einwohner, auf den er stieß, wo er den Hüter der Schule von Rok finden könne. Der Mann sah ihn eine Weile von der Seite her an und sagte dann: »Die Weisen brauchen nicht zu fragen, der Narr fragt vergeblich.« Und er ging seines Weges. Ged folgte der ansteigenden engen Gasse, bis er an einen kleinen Platz kam, der an drei Seiten von Häusern mit steilen Schieferdächern eingefaßt und an der vierten Seite von der Mauer eines Gebäudes begrenzt war, dessen kleine Fenster höher lagen als die Schornsteine der Wohnhäuser. Die Mauer war aus mächtigen grauen Steinblöcken gefügt und sah aus, als gehöre sie zu einer Burg oder einer Feste. Auf dem Platz wurde ein Markt abgehalten, Leute liefen geschäftig hin und her. Ged brachte sein Anliegen bei einer alten, hinter einem Korb voll Miesmuscheln sitzenden Frau vor, und sie antwortete: »Manchmal findet man den Hüter, wo er ist, und manchmal findet man ihn, wo er nicht ist.« Und sie fuhr fort, laut ihre Miesmuscheln anzupreisen.
In einer Ecke des großen Gebäudes war eine unscheinbare Holztür zu sehen. Ged ging hin und klopfte laut an. Zu dem alten Mann, der die Tür öffnete, sagte er: »Ich habe einen Brief von Meister Ogion für den Hüter der Schule auf dieser Insel. Ich möchte gern zu ihm, aber ich habe es satt, verspottet zu werden und mir Rätsel anhören zu müssen.«
»Dies ist die Schule«, sprach der alte Mann mit sanfter Stimme, »und ich bin der Pförtner. Tritt ein, wenn du kannst.«
Ged ging auf die Tür zu. Es schien ihm, als sei er über die Schwelle getreten, aber in Wirklichkeit befand er sich noch auf dem Straßenpflaster, auf dem er vorher stand.
Er versuchte es noch einmal, aber wiederum blieb er draußen stehen. Der Pförtner stand drinnen im Gang und sah ihn mit gütigen Augen an.
Ged war eher ärgerlich als verdutzt, denn er fühlte sich aufs neue genasführt. Mit Wort und Hand vollführte er die Beschwörungsformel des Öffnens, die ihm seine Tante vor so langer Zeit beigebracht hatte; sie hatte diese Formel immer als größten Beweis ihrer Fähigkeiten betrachtet, und Ged führte sie gut aus. Aber letzten Endes war es doch nur der Trick eines einfachen Zauberweibes, und die Kraft, die diese Tür in ihrem Bann hielt, blieb davon unberührt.
Als ihm auch dieser Versuch mißlang, blieb Ged eine lange Zeit auf dem Straßenpflaster stehen. Schließlich schaute er auf und blickte den alten Mann an, der wartend innen stand. »Ich kann nicht eintreten«, sagte er unwillig, »es sei denn, Sie helfen mir.«
Der Pförtner antwortete: »Sag deinen Namen.«
Wiederum blieb Ged eine lange Weile unbeweglich stehen, denn ein Mann nennt seinen Namen nur dann laut, wenn mehr als sein Leben auf dem Spiel steht.
»Ich heiße Ged«, sagte er laut. Er schritt vorwärts, und nun konnte er durch die Tür traten, aber noch während er die Schwelle überschritt, schien es ihm, als schlüpfe ein Schatten an seiner Ferse vorbei durch die Tür, obwohl er das Licht im Rücken hatte.
Als er sich umdrehte, bemerkte er auch, daß der Türrahmen, den er gerade durchschritten hatte, keineswegs aus Holz war, wie er ursprünglich angenommen hatte, sondern aus einem einzigen Stück Elfenbein, denn er sah weder Fuge noch Ritze; später erfuhr er, daß er aus einem Zahn des großen Drachen geschnitzt war. Die Tür, die der alte Mann hinter ihm schloß, war aus poliertem Horn, das vom
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