Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
verschwunden. Nur der Rabe hockte noch da und starrte ihn mit vorgestrecktem Schnabel an, als wolle er noch einmal am Stab picken.
Dann redete er in einer Sprache, die Ged für die Osskilsche hielt, krächzte »Terrenon Ussbuk!« und stolzierte wieder fort, genau wie er gekommen war.
Ged wandte sich zum Gehen, aber er war unschlüssig, welche Richtung er nun einzuschlagen hatte. Unter dem Torbogen traf er auf einen hochgewachsenen Jungen, der ihn sehr höflich begrüßte und sich leicht vor ihm verbeugte, während er sich vorstellte: »Ich bin Jasper, mein Vater ist Enwid, vom Hause der Eolg auf der Insel Havnor. Ich stehe Ihnen zu Diensten, um Ihnen die Räumlichkeiten des Großhauses zu zeigen und Ihre Fragen, so gut ich kann, zu beantworten! Wie ist Ihr Name?«
Ged, ein Dorfjunge aus den Bergen, der noch nie unter den Söhnen reicher Edelleute und Kaufleute geweilt hatte, empfand Jaspers Benehmen, sein ›Ich stehe Ihnen zu Diensten‹, das formelle ›Sie‹ und sein Verbeugen, als herablassend und lächerlich. Er antwortete brüsk: »Ich werde Sperber genannt.«
Der andere wartete einen Augenblick lang, vielleicht auf eine höflichere Antwort, aber als nichts weiter kam, richtete er sich auf und wandte sich ein wenig zur Seite. Er war zwei oder drei Jahre älter als Ged, sehr groß, und bewegte sich mit einer gewissen steifen Grazie, fast wie ein Tänzer – in Geds Augen wenigstens. Er trug einen grauen Umhang mit zurückgeworfener Kapuze. Als erstes führte er Ged in die Gewandstube, wo jeder Schüler mit einem derartigen Umhang und allen sonst nötigen Kleidern ausgestattet wurde. Ged hängte sich den dunkelgrauen Umhang um die Schultern, und Jasper sagte: »Jetzt sind Sie einer von uns.«
Jasper hatte die Angewohnheit, leicht zu lächeln, wenn er sprach. Ged vermutete versteckten Spott dahinter, und er antwortete barsch: »Machen Kleider den Magier?«
»Nein«, sagte der ältere Junge, »aber ich habe gehört, daß Manieren die Kinderstube verraten. Wohin jetzt?«
»Wohin Sie wollen. Ich kenne mich ja nicht aus.«
Jasper führte ihn durch zahlreiche Gänge und zeigte ihm die Innenhöfe unter offenem Himmel und die überdachten Räume des Großhauses, den Raum der Regale, wo sich die Werke der Magie und Runenkunde befanden, den großen Festsaal, in dem sich die Schüler an Feiertagen vor einem mächtigen offenen Kamin versammelten, und in den oberen Stockwerken; in den Türmen und unter den Dächern zeigte er ihm die Zellen, wo Schüler und Meister schliefen. Geds Zelle befand sich im Südturm und hatte ein Fenster, das über die steilen Dächer von Thwil aufs Meer blickte. Gleich den anderen Schlafzellen gab es darin außer der strohgefüllten Matratze keine Möbel. »Wir wohnen hier sehr einfach«, sagte Jasper, »aber ich nehme an, daß Ihnen das nichts ausmacht.«
»Ich bin daran gewöhnt.« Dann aber, um diesem eingebildeten Gecken zu zeigen, daß er auch Schliff besaß, fügte Ged hinzu: »Ich nehme an, daß Sie nicht daran gewöhnt waren, als Sie hierherkamen.«
Jasper schaute ihn an mit einem Blick, der ohne Worte auszudrücken schien: ›Was weißt du schon, woran ich, der Sohn des Fürsten von Eolg, von der Insel Havnor, gewöhnt bin oder nicht?‹ Laut sagte er: »Wir gehen hier entlang.«
Während sie noch oben waren, ertönte der Gong, und sie stiegen hinunter in den Speisesaal, um am Langtisch zusammen mit ungefähr hundert anderen Jungen und jungen Männern das Mittagsmahl einzunehmen. Jeder bediente sich selbst aus großen Schüsseln, die an der Durchreiche standen, und viele scherzten mit den Köchen, die dahinter sichtbar waren. Jeder saß am Langtisch, wo es ihm gefiel. Jasper wandte sich zu Ged: »Man sagt, daß es immer noch Platz gibt an diesem Tisch, gleichgültig, wie viele zu Tisch kommen.« Es war gewiß genug Platz da, sowohl für die zahlreichen Gruppen von laut schwatzenden, herzhaft essenden Jungen als auch für die älteren Schüler, die vereinzelt oder in Paaren beisammensaßen, ernsthaft oder gedankenversunken dreinschauten und deren graue Umhänge am Hals mit Silberbroschen geschlossen waren. Jasper führte Ged zu einem Platz neben einem kräftigen Jungen, der kräftig zulangte und unbeirrt weiteraß. Er sprach wie die Leute vom Ostbereich, und seine Haut war nicht rotbraun wie die von Jasper und Ged und den meisten Leuten des Inselreiches, sondern schwarzbraun. Er hieß Vetsch und machte einen einfachen, ungekünstelten Eindruck, sein Benehmen jedenfalls war
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