Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
fand und zu einem Ganzen schloß: Er wurde ein Mensch, der sich selbst erkannt hatte und von keiner anderen Macht, außer seiner eigenen, besessen oder beherrscht werden konnte, der das Leben um des Lebens willen lebte, nicht im Dienst der Zerstörung, des Hasses, der Pein und der Finsternis. Wie es in der Erschaffung von Éa heißt, dem ältesten Lied: ›Nur aus dem Schweigen ward das Wort, nur aus dem Dunkel ward das Licht, nur aus dem Tod ward das Leben: Hell ist der Flug des Falken in der Weite des Himmels.‹ Dieses Lied sang Vetsch jetzt mit heller Stimme, während er das Boot gegen Osten segelte, den kalten Winterwind im Rücken, der von hoher See her blies.
Acht Tage und wiederum acht Tage lang segelten sie, bis sie endlich Land sichteten. Oft mußten sie ihre Wasserflaschen mit magisch entsalztem Wasser füllen, oft versuchten sie zu fischen, aber selbst mit Hilfe magischer Formeln war ihr Fang gering, denn die Fische der hohen See wissen ihre wahren Namen nicht und kümmern sich wenig um Magie. Als sie nichts mehr als ein paar Fetzen geräucherten Fleisches übrig hatten, erinnerte sich Ged wieder an Jarros Worte, als er das Weizenküchlein stibitzt hatte: daß er seine Tat bereuen werde, wenn ihn draußen auf dem Meer hungere. Aber die Erinnerung machte ihn, trotz seines Hungers froh, denn sie hatte auch gesagt, daß er zusammen mit ihrem Bruder heimkehren werde.
Nur drei Tage lang waren sie mit dem magischen Wind nach Osten gesegelt, aber es dauerte sechzehn Tage, den Rückweg nach Westen zurückzulegen. Noch nie waren Männer zurückgekehrt, die so weit draußen auf hoher See gewesen waren wie die beiden jungen Zauberer Estarriol und Ged, im Brachmond des Winters, in ihrem offenen Fischerboot. Keine heftigen Stürme verlangsamten ihre Fahrt, und sie segelten stetig mit Kompaß und dem Stern Tolbegren. Da sie einen etwas nördlicheren Kurs als auf dem Hinweg einschlugen, lag Astowell nicht auf ihrem Weg, sie kamen an Weit-Toly und Sneg vorbei, sichteten die Inseln aber nicht. Das erste Land, das sie sahen, war das Südkap von Koppisch. Über den Wellen erhoben sich die Felsklippen wie Türme einer Riesenfestung. Seevögel kreisten krächzend und kreischend über den Wogen, und der Rauch der Herdfeuer kleiner Dörfer ringelte sich blau im Wind.
Von dort war die Reise nach Iffisch nicht mehr weit. Sie erreichten den Hafen von Ismay an einem ruhigen, dunklen Abend vor einem Schneesturm. Sie legten an und machten ihr Boot Weitblick fest, das sie an die Küste des Totenreiches und wieder zurück getragen hatte, und schritten die engen Gassen hinauf zum Haus des Zauberers. Ihre Herzen waren leicht, als sie unter das Dach des Hauses traten, wo das Feuer behagliche Wärme verbreitete und wo Jarro, mit Freudentränen in den Augen, ihnen entgegeneilte und sie begrüßte. Wenn Estarriol von Iffisch sein Versprechen gehalten und ein Lied über die ersten großen Taten Geds gedichtet hat, so ging es verloren. Im Ostbereich erzählt man die Geschichte von einem Boot, das, einige Tagesreisen von der Küste entfernt, mitten über der Meerestiefe auf festen Grund auflief. In Iffisch wird behauptet, daß Estarriol das Boot gesegelt hatte, aber in Tok besteht man darauf, daß es zwei Fischer waren, die vom Sturm auf die hohe See getrieben wurden, und in Holp sagt man, daß ein holpischer Mann sein Boot nicht von den unsichtbaren Sandbänken freibekam und seither umherwandere. Vom Schattenlied sind nur Fragmente erhalten, die im Lauf der Zeit wie Treibholz von Insel zu Insel getragen wurden. Das Gedlied berichtet nichts von dieser Fahrt Geds und von dem Zusammentreffen mit dem Schatten, das sich zutrug, bevor Ged unversehrt durch die Dracheninseln fuhr und bevor er den Ring von Erreth-Akbe von den Gräbern von Atuan nach Havnor zurückbrachte und schließlich nach Rok zurückkehrte und Erzmagier von allen Inseln der Welt wurde.
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