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Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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Adlers zu lehren. Um sich diese Worte anzueignen, die ihm soviel Macht gaben, tat er alles, was die Tante von ihm verlangte, lernte alles, was sie ihm beibringen wollte, obwohl manches Wissen und manche Verrichtung abstoßend waren. Die Redensarten ›so schwächlich wie die Zauberei einer Frau‹ oder ›so gemein wie die Zauberei einer Frau‹ waren allgemein bekannt in Gont. Zwar gehörte das Zauberweib von Gont keineswegs zu den Hexen der Schwarzen Künste, sie mischte sich auch nicht in die Hohen Künste oder in den Umgang mit Urkräften ein, aber da sie ein unwissendes Weib war, das unter unwissendem Volk hauste, lag ihren Bemühungen oft eine ganz primitive und zweifelhafte Absicht zugrunde. Sie wußte nichts vom Gleichgewicht und von der Formgebung, die der wahre Zauberer kennt, denen er dient und die ihn lehren, Magie nur im äußersten Notfall auszuüben. Sie hatte für jede Gelegenheit einen Spruch bereit und beschäftigte sich dauernd damit, irgendeinen Zauber zu wirken. Viel davon war Humbug und nutzlos, denn sie konnte die wahren von den falschen Zaubersprüchen nicht unterscheiden. Aber ihre Verwünschungen waren fast immer erfolgreich, ja man könnte fast sagen, daß sie eher eine Krankheit zu verursachen als zu heilen wußte. Wie jedes in einem Dorf ansässige Zauberweib war sie geschickt im Mischen von Liebestränken, aber es gab auch andere, schlimmere Tränke, die sie auf Wunsch braute, um Eifersucht und Haß zu stillen. Dieses Wissen verbarg sie vor ihrem jungen Lehrling, und soweit es in ihrer Macht lag, lehrte sie ihn ein ehrliches Gewerbe. Duny hatte seine kindliche Freude daran, die magische Kunst zu erlernen. Sie machte ihn zum Meister über alles Getier, das fliegende und das kriechende, und zeigte ihm das wahre Wesen ihrer Natur. Diese Freude blieb ihm für den Rest seines Lebens. Oft, wenn die Kinder ihn auf den hohen Almen sahen, war er von einem Raubvogel umschwirrt, und sie nannten ihn den ›Sperber‹. Dieser Name blieb ihm und wurde von all denen gebraucht, die seinen wahren Namen nicht kannten.
    Da das Zauberweib ihm oft vom Ruhm und Reichtum und von der großen Macht erzählte, die ein Zauberer über die Menschen erringen konnte, nahm sich Duny vor, mehr von der Zauberkunde zu erlernen. Das Lernen fiel ihm leicht. Das Zauberweib lobte ihn oft, und die Kinder begannen ihn zu fürchten. Er selbst wußte, daß er bald berühmt werden würde unter den Menschen. So verging die Zeit, und er lernte nacheinander Worte und Beschwörungsformeln von dem Zauberweib. Als er zwölf Jahre alt war, hatte er sich einen großen Teil ihres Wissens angeeignet. Es war nicht allzuviel, aber für das Zauberweib eines kleinen Dorfes genügte es, und für einen zwölfjährigen Knaben war es mehr als genug. Sie lehrte ihn alles, was sie von Kräutern und vom Heilen wußte und was ihr bekannt war von den Künsten des Findens, des Fesselns, des Zusammenfügens, des Öffnens und des Schließens. Alle Lieder der Sänger, die sie kannte, sang sie ihm vor, die von den Taten ehemaliger Helden handelten, und die Worte der wahren Sprache, die sie von dem Zauberer gelernt hatte, bei dem sie in die Schule gegangen war, gab sie an Duny weiter. Von den Wettermachern und den Spielleuten, die von Stadt zu Stadt durch das Nordtal und den Ostwald zogen, lernte er verschiedene Tricks und merkwürdige Spielereien, meist Schein- und Illusionszauber. Einer dieser Tricks, ein Illusionszauber, offenbarte zum ersten Mal die Macht, die in Duny steckte.
    Zur damaligen Zeit war Kargad ein mächtiges Reich. Es bestand aus vier großen Ländern, die zwischen dem Nord- und Ostbereich lagen: Karego-At, Atuan, Hur-at-Hur und Atnini. Die Sprache, die dort gesprochen wurde, unterscheidet sich von der Sprache der Bewohner des Inselreiches und der anderen Landstriche. Es war ein barbarisches Volk, das dort wohnte, weißhäutig, blondhaarig und wild, das gern Blut sah und gerne brennende Städte roch. Im Jahr zuvor hatten seine Krieger die Inselgruppe der Toriklen und die stark befestigte Insel Torheven angegriffen und mit ihren großen Flottillen wehrhafter Schiffe unter roten Segeln verschiedene Raubzüge unternommen. Die Nachrichten erreichten das nördliche Gont, aber die Fürsten in Gont waren zu sehr mit ihren eigenen Seeräubereien beschäftigt und kümmerten sich wenig um die Bedrängnisse anderer Länder. Dann aber fiel Spevy unter den Angriffen der Kargs, wurde geplündert und in Asche gelegt; die Bewohner verschleppte man als

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