Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
habe kein Recht, über diese Dinge zu reden. Das Wort, das ich hätte sprechen sollen, habe ich falsch gesprochen. Es ist besser, wenn ich den Mund halte, ich werde nicht mehr weiterreden. Vielleicht gibt es keine wahre Macht – außer der Dunkelheit.« Und er verließ das Herdfeuer und die warme Küche, nahm seinen Umhang und ging hinaus auf die Straße, hinaus in den kalten Winterregen.
»Eine Verwünschung liegt auf ihm«, murmelte Murre, der ihm etwas angstvoll nachschaute.
»Ich glaube, daß diese Fahrt, die er unternimmt, zu seinem Tod führt«, sagte das Mädchen. »Auch er befürchtet es und geht trotzdem.« Sie hob den Kopf und schaute in die roten Flammen, als sähe sie ein Boot darinnen, das einsam und allein über die winterliche See in die weite Ferne fremder Meere fuhr. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, doch sie sagte nichts. Am nächsten Tag kam Vetsch zurück und verabschiedete sich von den Stadtvätern von Ismay, denen es nicht paßte, daß ihr Zauberer mitten im Winter aufs Meer hinaus wollte und sich auf ein Unternehmen einließ, bei dem es um Leben und Tod ging, das ihn im Grunde gar nichts anging. Aber sie konnten ihn nicht abhalten. Er wurde ihrer ständigen Vorhaltungen müde und sagte: »Ich bin euch verpflichtet, durch meine Familie, durch Sitte und die Abmachung, die ich mit euch getroffen habe. Ich bin euer Zauberer. Aber es wird Zeit, daß ihr lernt, in mir zwar einen Diener, aber nicht euren Diener zu sehen. Wenn ich wieder frei bin, werde ich zurückkommen. Bis dahin – lebt wohl!«
Bei Tagesanbruch, als das graue Licht sich über das Meer ausbreitete, hißten die beiden jungen Männer das aus kräftigem Garn gewebte braune Segel der Weitblick . Der Nordwind füllte es und führte sie hinaus aus dem Hafen von Ismay. Jarro stand am Pier, wie es Frauen und Schwestern an allen Küsten der Erdsee tun. Sie stehen, ohne zu winken und zu rufen, in graue oder braune Umhänge gehüllt, die Kapuzen über dem Kopf. So stand sie und schaute ihnen nach, und die Küste wurde immer kleiner hinter ihnen, während das Wasser dazwischen immer weiter und breiter wurde.
Auf hoher See
DER HAFEN WAR AM HORIZONT VERSUNKEN. Die gemalten Augen der Weitblick , naß von den Wellen, schauten hinaus aufs endlose Meer. Zwei Tage und zwei Nächte brauchten die Freunde, um die fünfzig Meilen zwischen Iffisch und der Soderinsel in stürmischer See und unter heftigem Regen zurückzulegen. Nur kurz verweilten sie im Hafen. Sie füllten ihre Wasserflaschen und erstanden eine geteerte Leinwand, um wenigstens einige ihrer Geräte im offenen Boot vor Salzwasser und Regen zu schützen. Sie hatten sich um diese Dinge wenig gekümmert, als das Boot beladen wurde, denn gewöhnlich sorgt ein Zauberer für solche Kleinigkeiten mit Zauberworten. Ganz einfache Formeln genügen, um das Leben im Boot erträglicher zu machen. Mit einem Wort zum Beispiel konnte man Salzwasser in Süßwasser verwandeln, und man ersparte sich die Mühe, Süßwasser mitzuführen. Aber Ged machte nur sehr widerwillig von seiner magischen Kunst Gebrauch und wollte auch nicht, daß Vetsch seine Zauberkraft gebrauche. Er gab keinen Grund dafür an, sondern sagte nur: »Es ist besser so.« Sein Freund stellte keine weiteren Fragen, denn als der erste Windstoß die Segel füllte, fühlten beide eine bedrückende Ahnung drohenden Unheils, die so eiskalt wie der Winterwind war und sie erschauern ließ. Bucht und Hafen, Friede und Sicherheit, all dies ließen sie zurück. Sie begaben sich auf eine Bahn, auf der alle Handlungen gefährlich waren, auf der kein Vorkommnis bedeutungslos war. Das geringste Zauberwort konnte ihr Geschick wenden und das Gleichgewicht stören, das zwischen der Macht und der Machtlosigkeit besteht. Jetzt segelten sie geradewegs ins Zentrum, dorthin, wo sich Licht und Dunkel trafen und keines stärker als das andere war. Wer dorthin fährt, wägt jedes Wort.
Aus dem Hafen von Soders kommend, steuerte Ged das Boot der Küste entlang, an der sich weiße Schneefelder erstreckten und in den nebligen Höhen verloren. Er hielt sich jetzt südlich, und sie kamen in Gewässer, die im äußersten Rand des Außenbereiches lagen und nie von den Handelsschiffen des Innenreiches befahren wurden.
Vetsch stellte keine Fragen bezüglich des Kurses, denn er wußte, daß Ged ihn nicht wählte, sondern dorthin steuerte, wohin er steuern mußte. Als die Soderinsel immer kleiner wurde und im Dunst hinter ihnen verschwand, als das Meer unter ihnen
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