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Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan

Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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Zeitraum erstreckt haben, über Jahrhunderte unerbittlichen Wüstenklimas, während brennendheißer Sommer und frostiger Nächte, oder er war auf das unmerkliche Verschieben der Hügel selbst zurückzuführen.
    »Es ist sehr einfach, über die Grabmauer zu steigen«, sagte Arha, als sie daran entlanggingen.
    »Es gibt nicht genügend Männer, die sie wieder herrichten könnten«, erwiderte Kossil.
    »Wir haben genügend Männer, um sie zu bewachen.«
    »Es sind Sklaven. Ihnen kann man nicht trauen.«
    »Man kann ihnen trauen, wenn sie sich fürchten. Man sage ihnen, daß sie genauso bestraft werden wie der Fremde, dem es gelingt, seinen Fuß auf den Boden innerhalb der Mauer zu setzen.«
    »Welche Strafe steht darauf?« Kossil stellte diese Frage nicht, um etwas Neues zu erfahren. Sie selbst hatte Arha vor langer Zeit die Antwort darauf gelehrt.
    »Er wird vor dem Thron enthauptet.«
    »Wünscht meine Herrin, daß ein Wächter an der Gräbermauer aufgestellt wird?«
    »Ja, das ist mein Wunsch!« antwortete Arha. Sie preßte ihre Finger, die in den langen schwarzen Ärmeln ihres Umhangs verborgen waren, gegen die Handflächen, um ihre Freude zu unterdrücken. Daß Kossil keinen Sklaven zur Mauerbewachung verlieren wollte, war ihr ganz klar, im Grunde genommen war es auch ganz und gar unnötig, denn wer kam schon hierher? Es war fast ausgeschlossen, daß ein Mensch sich, sei es durch Zufall oder mit Absicht, der Stätte innerhalb eines Umkreises von einer halben Meile nähern konnte, ohne gesehen zu werden, und zu den Gräbern konnte er schon gar nicht gelangen. Aber mit einem Wachtposten wurde ihnen eine Ehre erwiesen, die ihnen zustand, und Kossil konnte nichts dagegen einwenden. Sie mußte Arha gehorchen.
    »Hier«, sagte sie kalt.
    Arha blieb stehen. So oft war sie schon an der Mauer entlanggegangen, daß sie diese genauso gut kannte wie die Stätte, wo sie jeden Zoll, jeden Stein, jeden Dorn und jede Distel kannte. Links von ihr erhob sich die Mauer, dreimal so hoch wie sie selbst, rechts von ihr fiel der Hügel stufenweise ab gegen ein flaches, dürres Tal, das sich auf der anderen Seite gegen die Ausläufer der westlichen Bergkette erhob. Sie ließ den Blick über den Boden schweifen, sah aber nichts Besonderes – alles war wie sonst.
    »Unter dem roten Felsen, Herrin!«
    Etwas unterhalb des Hügels gab es einen treppenähnlichen Felsvorsprung aus roter Lava. Als sie zu dem Vorsprung hinuntergegangen war und direkt davor stand, kam er ihr vor wie eine ungefüge Tür, etwa eineinhalb Meter hoch.
    »Was muß ich jetzt tun?«
    Sie wußte aus Erfahrung, wie nutzlos der Versuch war, an geheiligten Stellen eine Tür zu öffnen, bevor man nicht genau wußte, wie sie geöffnet werden konnte.
    »Meine Herrin hat alle Schlüssel zu den dunklen Orten.«
    Nachdem sie in die Gemeinschaft der Frauen aufgenommen worden war, hatte man ihr einen Schlüsselring gegeben, an dem ein kleiner Dolch und dreizehn Schlüssel hingen, manche groß und schwer, andere so klein wie Angelhaken. Diese hob sie nun hoch und breitete sie aus. »Der da«, sagte Kossil und deutete auf einen Schlüssel. Dann steckte sie ihren plumpen Zeigefinger in eine Spalte zwischen den beiden ausgehöhlten roten Felsen.
    Der Schlüssel war lang und rund, mit zwei reichverzierten Bärten, und paßte in die Spalte. Arha packte ihn mit beiden Händen und drehte ihn nach links. Er ließ sich nur schwer und langsam bewegen, doch er drehte sich ohne Stocken.
    »Und jetzt?«
    »Miteinander …«
    Gemeinsam drückten sie das rauhe Gestein links neben dem Schlüsselloch nach innen. Schwerfällig, doch lautlos und ohne hängenzubleiben, glitt ein ungleichmäßiges rotes Felsstück nach innen, bis ein schmaler Spalt sichtbar wurde. Innen war alles pechrabenschwarz.
    Arha beugte sich nieder und trat ein.
    Kossil, die beleibt und dazu noch dick angezogen war, hatte Mühe, sich durch den engen Spalt zu zwängen. Sobald sie drinnen war, lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Tür, nahm alle Kraft zusammen und stemmte sich gegen das Felsstück, bis es sich hinter ihr schloß.
    Es war völlig finster. Kein Lichtschimmer fiel in die Dunkelheit, die sich wie nasser Filz über die Augen legte.
    Sie mußten sich tief beugen, denn dort, wo sie standen, betrug die Höhe nicht viel mehr als einen Meter, und es war sehr eng. Arha fühlte den feuchten Fels links und rechts neben sich.
    »Haben Sie ein Licht mitgebracht?« Arha flüsterte, wie man es oft in der Dunkelheit

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