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Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan

Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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Holztür aus dem Kettenraum in die Schwärze des Ganges. Es schien ihr dort so friedlich und geruhsam zu sein wie in einer sternenlosen Nacht, ohne Sicht, ohne Licht, ohne Leben: Sie stürzte sich in die reine Dunkelheit und bewegte sich vorwärts wie ein Schwimmer im Wasser. Kossil, schwerfällig und schweratmend, keuchte hinterher, so schnell sie konnte, doch sie fiel immer weiter zurück. Ohne ihre Schritte zu verlangsamen, zählte Arha die ausgelassenen Öffnungen, schlug die richtige Richtung ein, der sie gefolgt waren, durchquerte das Riesengewölbe und kroch, tief gebeugt, die letzte Strecke durch den niedrigen Gang zur geschlossenen Tür im Fels. Dort hockte sie sich nieder und tastete nach dem langen Schlüssel, der am Ring an ihrer Taille hing. Sie fand ihn, aber das Schlüsselloch fand sie nicht. Auch nicht der kleinste Lichtstrahl war an der unsichtbaren Wand direkt vor ihrem Gesicht wahrnehmbar. Ihre Finger fühlten und suchten nach Schloß, Riegel oder Klinke, doch sie fanden nichts. Wo war das Schlüsselloch? Wie kam sie wieder hinaus?
    »Herrin!«
    Kossils Stimme, durch Echos verstärkt, zischte und dröhnte weit hinter ihr. »Herrin, die Tür kann nicht von innen geöffnet werden. Es gibt keinen Ausgang, keine Rückkehr!«
    Arha preßte sich gegen den Fels. Sie erwiderte nichts.
    »Arha!«
    »Ich bin hier.«
    »Komm!«
    Sie näherte sich Kossil auf Händen und Füßen, wie ein Hund, bis sie ihren Rock zu fassen bekam.
    »Rechts! Beeil dich! Ich kann hier nicht bleiben. Ich gehöre nicht hierher. Folge mir!«
    Arha erhob sich und hielt sich an Kossil fest. Sie bewegten sich vorwärts und folgten der seltsam gemeißelten, reliefgeschmückten Wand des Gewölbes bis zu einer Öffnung in der Schwärze. Sie gingen aufwärts, durch Gänge und Stufen hinauf. Arha hielt sich immer noch am Umhang der Priesterin fest. Ihre Augen waren fest geschlossen.
    Licht war vor ihr, schien rot durch ihre Augenlider. Sie dachte, daß sie sich wieder im fackelbeleuchteten Kettenraum befände, und preßte die Augen zusammen. Doch die Luft roch süßlich, trocken und etwas modrig; es war ein vertrauter Geruch. Sie ließ Kossils Umhang los und öffnete die Augen. Über ihr öffnete sich eine Falltür. Sie kletterte hinauf, Kossil folgend. Die Tür öffnete sich in einen Raum, den sie sehr wohl kannte. Eine kleine, aus Stein gebaute Zelle, in der sich einige Truhen und eiserne Kästen befanden, einer der unzähligen kleinen Räume hinter der Thronhalle. Tageslicht fiel grau und schwach vom Korridor herein, der vor der Tür lag.
    »Die andere Tür, die Gefängnistür, führt nur hinein, aber nicht heraus. Dies ist der einzige Ausgang. Weder Thar noch ich kennen einen anderen. Wenn es noch einen gibt, so muß es meine Herrin wissen. Aber ich glaube nicht, daß es noch einen gibt.« Kossils Stimme klang noch immer gepreßt, und Widerwille lag darin. Ihr großes Gesicht unter der Kapuze war bleich und feucht vor Schweiß.
    »Ich kann mich nicht mehr an die Abzweigungen erinnern, die hierher führen …«
    »Ich werde sie meiner Herrin aufzählen. Aber nur dieses eine Mal. Das nächste Mal muß sie sich selbst daran erinnern. Ich komme nicht wieder mit hierher, ich gehöre nicht hierher. Meine Herrin muß allein gehen.«
    Arha nickte. Sie schaute hinauf ins Gesicht der alten Frau, und es schien ihr einen seltsamen Anblick zu bieten, bleich, mit kaum unterdrückter Furcht und doch triumphierend, als genieße sie Arhas Schwäche.
    »Das nächste Mal gehe ich allein«, sagte Arha und versuchte sich von Kossil abzuwenden, doch die Beine versagten ihr, und die Zelle drehte sich vor ihren Augen. Sie fiel in Ohnmacht, ein kleines schwarzes Bündel vor den Füßen der Priesterin.
    »Du wirst es lernen«, sagte Kossil und atmete schwer, ohne sich zu rühren. »Du wirst es lernen.«

Träume und Geschichten
    ARHA WAR EIN PAAR TAGE LANG KRANK . Man behandelte sie, als ob sie Fieber hätte. Sie lag im Bett oder saß in der warmen Herbstsonne auf der Veranda des Kleinhauses und blickte hinüber auf die Berge im Westen. Sie fühlte sich schwach und kam sich sehr dumm vor. Sie mußte immer wieder an das gleiche denken: Sie schämte sich, daß sie in Ohnmacht gefallen war. Es war kein Wachtposten an der Gräbermauer aufgestellt worden, und sie wußte, daß sie es nie mehr wagen würde, Kossil darum zu bitten. Es wäre ihr am liebsten gewesen, wenn sie Kossil nie wieder hätte sehen müssen, nie mehr. Denn sie schämte sich, daß sie in Ohnmacht

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