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Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan

Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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und füllte den Raum mit beißendem Geruch. Arhas Augen brannten und tränten.
    »Wo sind die Gefangenen?«
    »Dort.«
    Es dauerte eine Weile, bis sie etwas unterscheiden konnte und wahrnahm, daß die drei unordentlichen Haufen am anderen Ende des Raumes Männer waren.
    »Die Tür ist nicht verschlossen. Ist kein Wächter hier?«
    »Es ist keiner nötig.«
    Sie ging zögernden Schrittes etwas weiter vor und versuchte, den rauchenden Dunst mit Blicken zu durchbohren. Die Gefangenen waren an beiden Fußgelenken und an einem Handgelenk mit Ketten an großen Eisenringen an der Wand befestigt. Wollte sich einer von ihnen niederlegen, so blieb sein Arm, an dem sich die Kette befand, oben hängen. Haar und Bärte waren so verfilzt, daß man in deren Schatten die Gesichter nicht erkennen konnte. Einer lag halb am Boden, die andern beiden saßen und hockten. Sie waren nackt. Der Geruch, der von ihnen ausging, war widerlicher als der Gestank, der vom Rauch herrührte.
    Einer von ihnen schien Arha zu mustern, sie glaubte, Augen wahrzunehmen, aber sie war sich nicht sicher. Die beiden anderen rührten sich nicht und hoben auch die Köpfe nicht.
    Sie wandte sich ab. »Das sind keine Menschen mehr«, sagte sie.
    »Das waren noch nie Menschen. Das waren Dämonen, tierische Wesen, die sich gegen die geweihte Person des Gottkönigs verschworen haben!« Kossils Augen schienen mit dem roten Fackellicht um die Wette zu funkeln.
    Arha blickte wieder auf die Gefangenen, sprachlos und neugierig zugleich. »Wie können sie es wagen, einen Gott anzugreifen? Wie können sie das tun? Du da – wie kannst du es wagen, einen lebenden Gott anzugreifen?«
    Der Mann blickte sie unter seinem verfilzten schwarzen Haarschopf hervor an, sagte aber nichts.
    »Man hat ihnen die Zungen herausgeschnitten, bevor man sie von Awabad hierhergeschafft hat«, erklärte Kossil. »Herrin, sprechen Sie nie mit ihnen! Es ist Abschaum. Sie gehören Ihnen, aber nicht damit Sie mit ihnen sprechen, sie ansehen oder über sie nachdenken. Sie wurden Ihnen als Opfer für die Namenlosen gegeben.«
    »Wie werden sie geopfert?«
    Arha blickte die Gefangenen nicht weiter an. Sie schaute Kossil an und suchte Kraft an ihrem massiven Körper, an ihrer kalten Stimme. In ihrem Kopf drehte sich alles, der Gestank, der Rauch, der Schmutz setzten ihr zu, es wurde ihr übel, doch sie sprach klar und ruhig. Hatte sie das denn nicht schon unzählige Male getan?
    »Die Priesterin der Gräber weiß am besten, welche Todesart ihren Gebietern, den Namenlosen, am wohlgefälligsten ist. Es gibt viele Arten.«
    »Gobar, der oberste Offizier der Garde, soll sie enthaupten, und ihr Blut wird vor dem Thron vergossen werden.«
    »… als ob es sich um ein Ziegenopfer handle?« Kossil schien heimlich über ihre Phantasielosigkeit zu höhnen. Arha schwieg. Kossil fuhr fort: »Außerdem ist Gobar ein Mann. Kein Mann kann die dunklen Orte der Stätte betreten. Ich hoffe doch, daß meine Herrin sich daran erinnert. Sollte er sie betreten, so wird er sie nicht wieder lebendig verlassen …«
    »Wer hat sie hierhergebracht? Wer gibt ihnen zu essen?«
    »Die Wärter, die meinem Tempel dienen, Duby und Vahto, haben sie gebracht. Sie sind Eunuchen und können hier im Dienst der Namenlosen eintreten, genau wie ich. Die Soldaten des Gottkönigs ließen die Gefangenen gefesselt vor der Außenmauer, und ich und die Wärter brachten sie hierher, durch die Tür in den roten Felsen. So wird es immer gemacht. Wasser und Essen wird durch eine Falltür von einem der Räume hinter dem Thron heruntergelassen.«
    Arha blickte auf und sah neben der Kette, an der die Fackel hing, ein Holzviereck, das ins Gestein eingelassen war. Es war zu klein für einen Menschen, aber groß genug für einen Strick, der gerade in Reichweite des mittleren Gefangenen herunterkommen mußte. Sie blickte schnell wieder weg.
    »Dann bringe man kein Wasser und keine Nahrung mehr. Die Fackel kann auch erlöschen.«
    Kossil verbeugte sich. »Und was macht man mit ihnen, wenn sie tot sind?«
    »Duby und Vahto können sie in dem großen Gewölbe des unteren Grabes verscharren«, sagte Arha. Ihre Stimme wurde ganz hoch, und sie redete schnell. »Es muß in der Dunkelheit getan werden. Meine Gebieter werden die Körper verzehren.«
    »Es wird geschehen, wie Sie wünschen.«
    »Ist es gut so, Kossil?«
    »Ja, es ist gut so.«
    »Dann laß uns gehen«, sagte Arha, und ihre Stimme klang plötzlich ganz schrill. Sie wandte sich um und eilte durch die

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