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Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee

Titel: Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K LeGuin
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durchquertet. Er wird Euch von Leid erzählen, wo Leid Geschichte ist, und von Wandel, wo nichts sich je wandelt. Wir schlossen die Tür, die Cob geöffnet hatte. Und jetzt soll womöglich die Mauer selbst fallen. Er war auf Rok; nur Azver hörte ihn an. Mein Herr, der König, wird ihn anhören und das tun, was die Weisheit gebietet und die Notwendigkeit erfordert. Erle überbringt meinem Herrn, dem König, meine lebenslange Verehrung und meinen lebenslangen Gehorsam - wie auch meine lebenslange Verehrung und Hochachtung für meine Lady Tenar. Außerdem meiner geliebten Tochter Tehanu eine mündliche Botschaft von mir.< Und er unterzeichnet das Schriftstück mit der Krallenrune.« Lebannen schaute von dem Brief auf in Erles Augen und ließ seinen Blick dort verharren. »Sagt mir, was es ist, das Euch träumt«, forderte er ihn auf.
    Und so erzählte Erle abermals seine Geschichte.
    Er erzählte sie kurz und nicht sehr gut. Obgleich er große Ehrfurcht vor Sperber gehabt hatte, schaute der Ex-Erzmagier doch aus wie ein alter Dörfler oder Bauer und kleidete sich und lebte auch so wie ein Mann von Erles eigner Art und eignem Stand, und diese Schlichtheit hatte alle oberflächliche Scheu besiegt. Doch so freundlich und höflich der König auch sein mochte, er sah halt aus wie der König, benahm sich wie der König, war der König, und für Erle war die Kluft unüberwindlich. Er haspelte seine Geschichte herunter, so gut er konnte, und war froh, als er fertig war.
    Lebannen stellte ein paar Fragen. Erst Lily und dann Gannet hatten Erle einmal berührt: danach nie mehr? Und die Stelle, an der Gannet ihn berührt hatte, hatte gebrannt?
    Erle zeigte dem Monarchen seine Hand. Die Spuren waren kaum noch sichtbar nach einem Monat Sonnenbestrahlung.
    »Ich glaube, die Leute an der Mauer würden mich berühren, wenn ich mich ihnen näherte«, sagte er.
    »Aber Ihr haltet Euch von ihnen fern?«
    »Das habe ich getan.«
    »Und es sind keine Leute, die Ihr zu deren Lebzeiten kanntet?«
    »Manchmal glaube ich den einen oder ändern zu kennen.«
    »Doch niemals Euer Weib?«
    »Es sind so viele, Herr. Manchmal glaube ich, sie ist unter ihnen. Aber ich kann sie nicht sehen.«
    Das Reden darüber brachte es nahe - zu nahe. Er fühlte, wie die Angst wieder in ihm aufwallte. Er fürchtete, die Wände des Raumes würden wegschmelzen und der Abendhimmel und die schwebende Berg-Krone würden verschwinden wie ein zur Seite gezogener Vorhang, und er würde dort stehen, wo er immer stand: auf einem dunklen Hang an einer steinernen Mauer.
    »Erle!«
    Er blickte auf, verwirrt, erschüttert. Ihn schwindelte. Der Raum war hell, das Gesicht des Königs hart und glänzend.
    »Ihr werdet hier im Palast übernachten?«
    Es war eine Einladung, aber Erle konnte nur stumm nicken, es hinnehmen wie einen Befehl.
    »Gut. Ich werde dafür Sorge tragen, dass Ihr die Botschaft, die Ihr bei Euch tragt, morgen der Meisterin Tehanu überbringen könnt. Und ich bin gewiss, dass die Weiße Dame mit Euch sprechen will.«
    Er verbeugte sich. Lebannen wandte sich zum Gehen.
    »Mein Herr ...«
    Lebannen drehte sich wieder um.
    »Darf ich meine Katze bei mir behalten?«
    Nicht der Anflug eines Lächelns, nicht der leiseste Spott. »Natürlich.«
    »Herr, es tut mir im Herzen Leid, dass ich Nachrichten bringe, die Euch beunruhigen!«
    »Jede Botschaft von dem Mann, der Euch gesandt hat, ist eine Gunst für mich und für seinen Überbringer. Und ich bekomme lieber schlechte Nachricht von einem ehrlichen Mann denn Lügen von einem Schmeichler«, erwiderte Lebannen, und als Erle aus den Worten des Königs den Akzent seiner Heimatinseln heraushörte, war er fast ein bisschen erheitert.
    Der König ging davon, und sogleich steckte ein Mann den Kopf zu der Tür herein, durch die Erle gekommen war. »Ich werde Euch zu Eurem Gemach geleiten, wenn Ihr mir folgen wollt, Herr«, sagte er. Er war würdevoll, ältlich und wohl gekleidet, und Erle folgte ihm ohne die geringste Ahnung, ob er ein Edelmann oder ein Diener war, weshalb er es nicht wagte, ihn nach Schleppi zu fragen. In dem Zimmer vor jenem Raum, in dem ihn der König empfangen hatte, hatten die Beamten, Wächter und Türsteher strikt darauf bestanden, dass er seinen Geflügelkorb bei ihnen hinterlasse. Er war bereits von zehn oder fünfzehn Beamten mit Argwohn beäugt und mit Missfallen inspiziert worden. Zehn oder fünfzehn Mal hatte Erle erklärt, dass er die Katze deshalb bei sich trage, weil er in der Stadt niemanden

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