Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee
freut mich, das zu hören«, sagte sie. »Ich mache mir Sorgen um ihn. Er bestellt das Haus ebenso gut wie ich; trotzdem habe ich ihn nicht gern allein zurückgelassen ... Bitte erzähl mir, was er gemacht hat, während du dort weiltest.«
So berichtete er, dass Sperber die Pflaumen gepflückt und zum Markt gebracht habe, dass die beiden den Zaun geflickt hätten, dass Sperber ihm geholfen habe, Schlaf zu finden.
Sie lauschte gespannt, ernst, als hätten diese kleinen Dinge so viel Gewicht wie die merkwürdigen Vorkommnisse, über die sie hier drei Tage zuvor gesprochen hatten - die Toten, die einen lebendigen Mann anriefen, ein Mädchen, das zum Drachen wurde, Drachen, die die Inseln des Westens in Brand steckten.
Und in der Tat wusste er nicht, was letztendlich schwerer wog, die großen seltsamen Dinge oder die kleinen gewöhnlichen.
»Ich wünschte, ich könnte nach Hause fahren«, sagte die Frau.
»Ich könnte mir das Gleiche wünschen, aber es wäre vergebens. Ich glaube, ich werde nie wieder nach Hause gehen.« Er wusste nicht, warum er das sagte, aber er hörte es sich sagen und dachte, dass es wohl wahr sei.
Sie musterte ihn eine Weile aus ihren ruhigen grauen Augen und stellte keine Frage.
»Ich könnte mir wünschen, meine Tochter würde mit mir nach Hause fahren«, sagte sie, »aber das wäre ebenfalls vergebens. Ich weiß, dass sie weiterziehen muss. Ich weiß nicht, wohin.«
»Wollt Ihr mir sagen, was für eine Gabe es ist, die sie besitzt, was für eine Frau sie ist, dass der König nach ihr schickte und sie mitnahm, den Drachen entgegenzutreten?«
»Ach, wenn ich wüsste, was sie ist, würde ich es dir gern sagen«, erwiderte Tenar mit einer Stimme, die voller Kummer, Liebe und Bitterkeit war. »Sie ist nicht meine leibliche Tochter, wie du vielleicht schon geahnt oder gewusst hast. Sie kam als kleines Kind zu mir, aus den Flammen gerettet, aber nur knapp und nicht völlig ... Als Sperber zu mir zurückkehrte, wurde sie auch seine Tochter. Und sie bewahrte sowohl ihn als auch mich vor einem grausamen Tod, indem sie einen Drachen herbeizitierte, Kalessin, genannt der Älteste. Und dieser Drache nannte sie seine Tochter. Sie ist also das Kind von vielen und keinem, welchem kein Schmerz erspart blieb und das doch vom Feuer verschont wurde. Wer sie in Wahrheit ist, werde ich wohl niemals erfahren. Aber ich wünschte mir, sie wäre jetzt hier bei mir, wohl behütet und in Sicherheit!«
Er wollte sie trösten, aber er selbst bedurfte des Trostes.
»Erzähl mir ein wenig mehr von deinem Weib, Erle«, bat sie.
»Ich kann nicht«, sagte er nach einer Weile in das Schweigen hinein, das zwischen ihnen lag. »Ich würde es, wenn ich könnte, Lady Tenar. In mir ist eine solche Schwere, und eine schreckliche Angst dazu. Ich versuche, an Lily zu denken, aber da ist nur diese dunkle Wüste, die sich immer tiefer erstreckt, und ich kann sie nicht in ihr sehen. All die Erinnerungen, die ich an sie hatte, die wie Wasser und Luft zum Atmen für mich waren, sind in jenen trockenen Ort eingegangen. Ich habe nichts mehr.«
»Es tut mir Leid«, sagte sie leise, und wieder saßen sie schweigend da. Die Abenddämmerung vertiefte sich. Es war windstill und sehr warm. Die Lichter im Palast schimmerten durch die Fensterblenden und das stille, hängende Blattwerk der Weiden.
»Irgendetwas geschieht«, sagte Tenar. »Eine große Veränderung in der Welt. Vielleicht wird uns nichts bleiben von dem, was wir kannten.«
Erle blickte hinauf zum dunkler werdenden Himmel. Die Türme des Palastes hoben sich scharf vor ihm ab, ihr heller Marmor und Alabaster haschte alles Licht auf, das im Westen noch übrig war. Sein Blick suchte die Schwertklinge auf der Spitze des höchsten Turmes, und er fand sie, blass silbern schimmernd. »Seht«, sagte er. An der Spitze des Schwertes, wie ein Diamant oder ein Wassertropfen, funkelte ein Stern. Während sie hinschauten, löste sich der Stern von dem Schwert und stieg direkt über ihm in die Höhe.
Tumult war zu vernehmen, im Palast oder außerhalb der Mauern; Stimmen; ein Horn erschallte, ein durchdringender, gebieterischer Ruf.
»Sie sind zurück«, sagte Tenar und stand auf. Erregung erfüllte die Luft, und auch Erle erhob sich. Tenar eilte in den Palast, von wo aus man den Hafen sehen konnte. Doch ehe er Schleppi zurück in den Palast brachte, blickte Erle noch einmal zu dem Schwert hinauf, das jetzt nur noch schwach glomm, und zu dem Stern, der hell über ihm strahlte.
Die Delphin
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