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Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee

Titel: Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K LeGuin
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Leute hingehen. Jenes trockene Land, von dem Erle spricht, ist nicht der Ort, zu dem wir uns einst begeben. Die Prinzessin, ich und die Drachen.«
    Lebannens Gesichtsausdruck verwandelte sich von wachsamer Zurückhaltung in einen höchster Aufmerksamkeit. »Geds Fragen an Tehanu«, sagte er leise. »Sind dies die Antworten?«
    »Ich weiß nur, was die Prinzessin mir gesagt oder in Erinnerung gebracht hat. Ich werde heute Abend mit Tehanu über diese Dinge sprechen.«
    Er zog erneut die Stirn kraus und dachte nach; schließlich entspannte sich sein Gesicht. Er beugte sich hinab und gab Tenar einen Gutenachtkuss auf die Wange. Dann schritt er davon, und sie blickte ihm nach. Er brachte ihr Herz zum Schmelzen, er verblüffte sie, aber sie ließ sich nicht blenden. »Er hat immer noch Angst vor der Prinzessin«, dachte sie.
     
    Der Thronsaal war das älteste Zimmer im Maharionspalast. Er war die Halle von Gemal Seeborn gewesen, dem Fürsten von Ilien, der später König in Havnor wurde und aus dessen Linie Königin Heru und ihr Sohn Maharion stammten. Im Lied Havnors heißt es:
     
    Hundert Krieger, hundert Frauen
    saßen in der großen Halle des Gemal Seeborn
    an des Königs Tafel, höflich im Gespräch,
    noble und edelmüt'ge Leute von Havnor,
    keine Krieger tapfrer, keine Frauen schöner.
     
    Um diese Halle herum hatten Gemals Erben über mehr als ein Jahrhundert hinweg einen noch größeren Palast gebaut, und zum Schluss hatten Heru und Maharion darauf den Alabasterturm, den Königinnenturm und den Schwertturm gesetzt.
    Letztere standen immer noch; aber obgleich die Bewohner von Havnor ihn standhaft über all die langen Jahrhunderte seit Maharions Tod hinweg den Neuen Palast genannt hatten, war er alt und halb verfallen gewesen, als Lebannen den Thron bestiegen hatte. Er hatte ihn fast zur Gänze wieder aufgebaut, und zwar so, dass er heute glanzvoller denn je erstrahlte. Die Kaufleute der Inneren Inseln hatten in ihrer ersten Freude, wieder einen König zu haben und Gesetze, die ihren Handel schützten, seine Einkünfte hoch angesetzt und ihm sogar noch mehr Geld für derlei Unternehmungen angeboten. Während der ersten Jahre seiner Regentschaft hatten sie nicht einmal geklagt, dass die Steuerlast ihre Existenz vernichte und ihre Kinder in bittere Armut treibe. Und so hatte er den Palast von Grund auf renovieren und zu einem wahren Juwel ausbauen können. Den Thronsaal jedoch hatte er, sobald die Balkendecke erst wieder errichtet, die Steinwände neu verputzt und die schmalen, hohen Fenster neu verglast waren, in seiner alten, kahlen Schmucklosigkeit belassen.
    Während der kurzen falschen Dynastien und der Finsteren Jahre der Tyrannen und Usurpatoren und Piratenherren, über all die Kränkungen von Zeit und Ehrsucht hinweg hatte der Thron des Königreiches am Ende des langen Saales gestanden: ein hölzerner Stuhl mit hoher Lehne auf einem schlichten Podest. Einst war er mit Gold beschlagen gewesen. Das Gold war längst verschwunden; die kleinen goldenen Nägel hatten dort, wo sie von räuberischer Hand herausgerissen worden waren, hässliche Löcher und Schrammen im Holz hinterlassen. Die seidenen Kissen und Behänge waren gestohlen oder von Motten, Mäusen und Moder zerstört worden. Nichts wies ihn als das aus, was er war, als der Platz, an dem er stand, und eine oberflächliche Schnitzerei auf der Rückenlehne, ein Rabe im Flug, der einen Ebereschenzweig im Schnabel hielt. Das war das Wappen des Hauses Enlad.
    Die Könige jenes Hauses waren vor achthundert Jahren von Enlad nach Havnor gekommen. Wo Morreds Thron ist, sagten sie, ist das Königreich.
    Lebannen hatte ihn reinigen lassen, die morschen Stellen ausbessern, ölen, schleifen und neu mattieren lassen, aber er hatte ihn ungestrichen, unvergoldet und kahl belassen. Einige der reichen Kaufleute, die kamen, um ihren teuren Palast zu besichtigen, beschwerten sich wegen des Thronsaales und des Thrones. »Er sieht aus wie eine Scheune«, schimpften sie, und: »Ist das Morreds Thron oder ein alter Bauernstuhl?«
    Worauf der König, wie einige berichteten, erwidert habe: »Was ist ein Königreich ohne die Scheuern, die es nähren, und die Bauern, die das Korn anbauen?« Andere sagten, er habe erwidert: »Besteht mein Königreich aus Putz und Tand und Flitter oder fußt es auf der Stärke von Holz und Stein?« Wieder andere behaupteten, er hätte nichts weiter gesagt, als dass der Thron ihm so gefalle, wie er sei. Und da es schließlich sein königliches

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