Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee
zerriss mir fast das Herz, dennoch hielt ich an diesem Schmerz fest, bewahrte ihn ganz nah bei mir. Ich wollte ihn. Ich hoffte, den Traum wieder zu träumen.«
»Und? Erfüllte sich deine Hoffnung?«
»Ja. Ich träumte den Traum erneut.«
Er schaute mit entrücktem Blick in den blauen Schlund aus Luft und Meer im Westen. Tief und schwach auszumachen jenseits der ruhigen See lagen die sonnenbeschienenen Hügel von Kameber. Hinter ihnen brach die Sonne gleißend über die Nordschulter des Berges.
»Es war neun Tage nach dem ersten Traum. Ich war am selben Ort, aber hoch oben auf dem Hang. Unterhalb von mir sah ich die Mauer, die quer über den Hang verlief. Und ich rannte den Hang hinunter, rief ihren Namen, sicher, sie zu sehen. Es war jemand dort. Doch als ich näher kam, sah ich, dass es nicht Lily war. Es war ein Mann, und er stand über die Mauer gebeugt, so als flickte er sie. Ich fragte ihn: >Wo ist sie? Wo ist Lily?< Er gab keine Antwort, noch hob er den Kopf. Da sah ich, was er machte. Er war nicht dabei, die Mauer zu flicken, sondern sie abzutragen. Er zerrte gerade mit den Fingern an einem großen Stein. Der Stein ließ sich jedoch nicht vom Fleck bewegen, und er sprach: >Hilf mir, Hara!< Da sah ich, dass er mein Lehrer war, Gannet. Er ist seit fünf Jahren tot. Er zerrte und wackelte unverdrossen an dem Stein und rief mich erneut bei meinem Namen: >Hilf mir, Hara, befreie mich!< Schließlich stand er auf und reichte mir die Hand über die Mauer hinweg, wie schon sie es getan hatte, und ich ergriff sie. Aber seine Hand brannte, ich weiß nicht, ob vor Feuer oder vor Kälte; ich zog die meine rasch weg, und der Schmerz und die Furcht davor weckten mich aus meinem Traum.«
Er streckte die Hand aus, während er sprach, und zeigte ihre Innenseite und ihren Rücken. Beide waren dunkel wie von einer alten Quetschung.
»Ich habe gelernt, mich nicht von ihnen berühren zu lassen«, sagte er leise.
Ged schaute auf Erles Mund. Auch auf seinen Lippen war eine dunkle Stelle.
»Du hast in tödlicher Gefahr geschwebt, Hara«, sagte er, ebenso leise.
»Es geht noch weiter.«
Erle fuhr mit seiner Erzählung fort.
In der nächsten Nacht, als er eingeschlafen war, fand er sich erneut auf jenem düsteren Hang wieder und sah erneut unter sich die Mauer, die sich von der Kuppe des Hügels den Hang hinunter zog. Er lief zu ihr hinab, in der Hoffnung, sein Weib dort zu finden. »Es war mir gleich, dass sie sie nicht überwinden konnte, dass ich sie nicht überwinden konnte, solange ich sie nur sehen und mit ihr reden durfte«, sagte er. Doch falls sie dort war, so sah er sie nicht unter all den ändern: denn als er sich der Mauer näherte, sah er eine ganze Schar von Schattenmenschen auf der anderen Seite, einige klar und einige verschwommen, solche, die er zu kennen schien, und andere, die er nicht kannte, und alle streckten die Hände nach ihm aus, als er an die Mauer trat, und riefen ihn bei seinem Namen: »Hara! Lass uns mit dir kommen! Hara, befreie uns!«
»Es ist schrecklich, wenn man hört, wie man von Fremden bei seinem wahren Namen gerufen wird«, sagte Erle, »und es ist schrecklich, von den Toten gerufen zu werden.«
Er versuchte kehrtzumachen und den Hang wieder zu erklimmen, weg von der Mauer; aber seine Beine, schwach vom Traum, versagten ihm den Dienst und wollten ihn nicht tragen. Er ließ sich auf die Knie fallen, um sich davor zu bewahren, zu der Mauer hinuntergezogen zu werden, und rief um Hilfe; aber es gab niemanden, der ihm helfen konnte, und so erwachte er in Angst und Entsetzen.
Seitdem fand er sich jede Nacht, in der er tief schlief, auf dem Hang im trockenen Gras oberhalb der Mauer stehend, und die Toten drängten sich dicht an dicht und schattenhaft auf der anderen Seite der Mauer, schrien und flehten und riefen seinen Namen.
»Ich liege wach«, sagte er, »und ich bin in meinem eigenen Zimmer. Ich bin nicht dort droben auf dem Hügel. Aber ich weiß, dass sie es sind. Und ich muss doch schlafen. Ich versuche oft, wach zu bleiben und tagsüber zu schlafen, wenn ich irgend kann, aber schlussendlich muss ich schlafen. Und dann bin ich dort, und sie sind dort. Und ich kann nicht den Hang hinaufsteigen. Wenn ich gehe, dann immer abwärts, auf die Mauer zu. Manchmal kann ich ihnen den Rücken zuwenden, doch dann glaube ich, Lily zwischen ihnen zu hören, die mich ruft. Und dann drehe ich mich um und halte Ausschau nach ihr. Und sie strecken die Hände nach mir aus.«
Er schaute auf seine
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