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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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Sie verspürte Wut. Aber auch Verwirrung. Weil sie nicht richtig verstand, warum sie wütend auf jemand war, den sie gar nicht richtig kannte. Sie sah auf die Uhr. Fünf vor sieben.
     
    *
     
    Harry hatte Fischsuppe gekocht. Eine Tüte von Findus, die er mitMilch angerührt und mit Resten von Fischpudding verlängert hatte. Dazu ein Baguette. Alles gekauft bei Niazi, dem kleinen Gemischtwarenladen, den sein unter ihm wohnender Nachbar Ali gemeinsam mit seinem Bruder betrieb. Neben dem Suppenteller stand ein großes Glas Wasser auf dem Wohnzimmertisch.
    Harry legte eine CD auf und drehte die Lautstärke hoch. Schob die Gedanken in seinem Kopf beiseite und konzentrierte sich ganz auf die Musik und seine Suppe. Klang und Geschmack. Sonst nichts.
    Der Teller war halb leer und das dritte Lied lief, als plötzlich das Telefon klingelte. Soll es doch, dachte er. Beim achten Klingeln stellte er die Musik leiser und nahm den Hörer ab.
    » Harry. «
    Es war Astrid. »Was machst du gerade?« Sie sprach leise, aber man hörte trotzdem einen leichten Hall. Er nahm an, dass sie sich zu Hause im Badezimmer eingeschlossen hatte.
    »Essen und Musik hören.«
    »Ich muss gleich mal raus. Ganz in deine Nähe. Hast du schon Pläne für den Abend?«
    »Ja.«
    »Und die wären?«
    »Noch mehr Musik hören.«
    »Hm. Das hört sich so an, als hättest du keine Lust auf Gesellschaft. «
    »Kann sein.«
    Pause. Sie seufzte. »Sag Bescheid, wenn du es dir anders überlegen solltest.«
    »Astrid?«
    »Ja?«
    »Es ist nicht wegen dir, okay? Es ist wegen mir. «
    »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Harry. Ich meine, du solltest nicht auf den Gedanken verfallen, dass das Ganze für einen von uns von substanzieller lebenswichtiger Bedeutung ist. Ich dachte bloß, es wäre nett.«
    »Ein andermal vielleicht.«
    »Wann zum Beispiel?«
    »Ein andermal.«
    »Ein ganz anderes Mal?«
    »So in der Richtung.«
    »Okay. Aber ich mag dich, Harry. Vergiss das nicht.«
    Als sie aufgelegt hatten, blieb Harry stehen und lauschte der plötzlichen Stille. Weil er überrascht war. Er hatte ein Gesicht vor sich gesehen, als Astrid anrief. Die Überraschung bestand nicht darin, dass er ein Gesicht gesehen hatte, sondern dass es nicht Rakels Gesicht gewesen war. Und auch nicht Astrids. Er ließ sich auf den Stuhl fallen und beschloss im selben Augenblick, nicht weiter darüber nachzudenken. Denn sollte das bedeuten, dass die Medizin der Zeit langsam zu wirken begann und Rakel langsam aus seinem System getilgt wurde, waren das doch gute Neuigkeiten. So gut, dass er den Prozess nicht unnötig verkomplizieren wollte.
    Er drehte die Stereoanlage auf und machte seinen Kopf ganz leer.
     
    *
     
    Er hatte die Rechnung bereits bezahlt. Er legte den Zahnstocher in den Aschenbecher und sah auf die Uhr. Drei Minuten vor sieben. Das Schulterhalfter schnitt in seinen Brustmuskel. Er nahm das Bild aus der Innentasche und warf einen letzten Blick darauf. Die Zeit war gekommen.
    Keiner der anderen Gäste des Restaurants – nicht einmal das Pärchen am Nebentisch – nahm Notiz von ihm, als er sich erhob und zur Toilette ging. Er schloss sich ein, wartete eine Minute und widerstand der Versuchung, nachzusehen, ob die Waffe geladen war. Das hatte er von Bobo gelernt. Wenn man sich erst den Luxus leistete, alles doppelt und dreifach zu überprüfen, wurde man nachlässig.
    Die Minute war um. Er verließ die Toilette, ging zur Garderobe, streifte sich die Regenjacke über, band sich das rote Halstuch um und zog die Mütze über die Ohren. Dann öffnete er die Tür und stand draußen auf der Karl Johans gate.
    Mit raschen Schritten ging er bis zum höchsten Punkt der Straße. Nicht weil er es eilig hatte, sondern weil er bemerkt hatte, dass dies das Tempo war, das die Menschen hier allgemein an den Tag legten. Ging man ebenso schnell, fiel man nicht auf. Er passierte den Mülleimer an dem Laternenpfahl, den er sich tags zuvor auserkorenhatte. Dort wollte er seine Waffe entsorgen. Mitten in der belebten Fußgängerzone. Die Polizei würde sie finden, aber das machte nichts. Wichtig war, dass sie sie nicht bei ihm fanden.
    Er hörte die Musik, lange bevor er dort war.
    Ein paar hundert Menschen hatten sich in einem Halbkreis vor den Musikern aufgebaut, die gerade ein Lied beendeten, als er ankam. Das Glockenspiel, das während des Applauses einsetzte, verriet ihm, dass er pünktlich gekommen war. Vor der Band hing ein großer, schwarzer Kessel an einem hölzernen Gestell. Daneben

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