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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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stand der Mann von dem Foto. Er sah ihn zwar nur im Licht der Straßenlaternen und der zwei Fackeln, aber es gab keinen Zweifel. Außerdem trug er die Uniform der Heilsarmee und die dazugehörige Mütze.
    Der Sänger rief etwas ins Mikrofon und die Menschen jubelten und klatschten. Ein Blitzlicht leuchtete auf, als sie wieder zu singen begannen. Sie spielten laut. Der Mann am Schlagzeug hob die rechte Hand jedes Mal hoch in die Luft, ehe er einen Trommelwirbel anstimmte.
    Er bahnte sich einen Weg durch die Menschenmenge, bis er nur noch wenige Meter von dem Mann entfernt stand. Dann vergewisserte er sich, dass ihm niemand den Rückzug versperren konnte. Vor ihm standen zwei Teenagermädchen, die ihren weißen Kaugummiatem in die Kälte bliesen. Sie waren kleiner als er. Er dachte an nichts Besonderes, übereilte nichts. Tat nur, wozu er gekommen war, ohne große Umstände: Er nahm die Pistole aus dem Halfter und streckte den Arm vor. Das verringerte den Abstand auf gut zwei Meter. Er zielte. Der Mann am Kessel verschwamm, wurde zu zwei Figuren. Dann hörte er auf zu zielen und die Bilder schoben sich wieder zu einem zusammen.
     
    *
     
    »Prost«, sagte Jon.
    Die Musik tropfte aus den Lautsprechern wie ein zäher Brei. »Prost«, antwortete Thea und streckte ihm ihr Glas entgegen. Nachdem sie getrunken hatten, sahen sie einander an und er formte mit den Lippen die Worte: Ich liebe dich .
    Errötend schlug sie die Augen nieder, lächelte aber.
    »Ich habe ein kleines Geschenk für dich«, sagte er.
    »Oh«, ihre Stimme klang verspielt, kokett.
    Er steckte die Hand in die Jackentasche. Unter dem Handy spürte er das harte Plastik der kleinen Box, die er beim Juwelier bekommen hatte. Sein Herz schlug schneller. Mein Gott, wie er sich auf diesen Abend, auf diese Stunde gefreut und welche Angst er gehabt hatte.
    Das Handy begann zu vibrieren.
    »Stimmt was nicht?«, fragte Thea.
    »Doch, doch, ich muss bloß … entschuldige. Ich bin gleich wieder da.«
    In der Toilette nahm er das Handy aus der Tasche und warf einen Blick auf das Display. Er seufzte und nahm das Gespräch entgegen. »Hallo Süßer, wie geht’s?«
    Ihre Stimme klang belustigt, als hätte sie gerade etwas Witziges gehört, das sie an ihn erinnert hatte und spontan anrufen ließ. Aber die Liste der versäumten Anrufe zeigte an, dass sie es bereits sechs Mal versucht hatte.
    »Hallo, Ragnhild. «
    »Du klingst so komisch, bist du «
    »Ich stehe in einer Toilette. In einem Restaurant. Thea und ich sind essen. Wir sollten später miteinander reden.«
    »Wann denn?«
    »Ein andermal.«
    Pause.
    »Aha.«
    »Ich hätte dich anrufen sollen, Ragnhild. Es gibt da etwas, was ich dir sagen muss. Du ahnst bestimmt schon, worum es geht.« Er hielt die Luft an. »Du und ich, das kann nicht so «
    »Jon? Man kann dich fast nicht verstehen.«
    Jon bezweifelte, dass das der Wahrheit entsprach.
    »Kann ich nicht morgen Abend zu dir kommen?«, fragte Ragnhild. »Dann kannst du es mir ja erklären.«
    »Ich bin morgen Abend nicht allein, und auch an keinem der nächsten «
    »Dann triff mich zum Lunch im Grand Hotel. Ich schicke dir eine SMS mit der Zimmernummer.«
    »Ragnhild, nein «
    »Ich höre dich nicht mehr. Ruf mich morgen an, Jon. Ach nein, ich bin den ganzen Tag in Sitzungen, ich rufe dich an. Mach dein Telefon nicht aus. Und viel Spaß, Süßer.«
    »Ragnhild? «
    Jon blickte auf das Display. Sie hatte aufgelegt. Er hätte nach draußen gehen und noch einmal anrufen können. Das wäre das einzig Richtige gewesen. Das einzig Kluge. Ihr den Todesstoß versetzen, es hinter sich bringen.
     
    *
     
    Sie standen sich jetzt direkt gegenüber, aber es schien so, als sähe ihn der Mann in der Heilsarmeeuniform gar nicht. Er atmete ruhig, der Finger drückte gleichmäßig auf den Abzug, zog ihn langsam nach hinten. Dann begegneten sich ihre Blicke. Und er dachte noch, dass der Soldat keine Spur von Überraschung zeigte, von Angst oder Panik. Ganz im Gegenteil schien sich eine Art Verklärung auf seinem Gesicht breitzumachen, als gäbe ihm der Anblick der Pistole eine Antwort auf eine seiner Fragen. Dann knallte es.
    Wäre der Schuss in einem Trommelwirbel gefallen, hätte die Musik ihn vielleicht übertönt, doch er war deutlich zu hören gewesen. Ein paar Menschen drehten sich daher um und starrten den Mann mit der Regenjacke an. Seine Pistole. Und dann den Soldaten der Heilsarmee, der ein Loch im Schirm der Uniformmütze hatte, gleich unter dem »A«, und der mit

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