Der Erl�ser
präzise«, sagte er.
Gegen zwei Uhr nachts hörte es auf zu schneien. Die Wolken, die wie eine schwarze, schwere Kulisse über der Stadt gehangen hatten, wurden zur Seite gezogen, und ein großer, gelber Mond betrat die Bühne. Unter dem klaren Himmel begannen die Temperaturen wieder zu fallen, und es knackte und knisterte nur so an den Hauswänden.
KAPITEL 10
Donnerstag, 17. Dezember. Der Zweifler
S ieben Tage vor Weihnachten legte sich die Kälte wie ein eiserner Handschuh auf die Leute, die sich hastig und stumm durch die Straßen von Oslo bewegten, einzig darauf bedacht, rasch an ihr Ziel zu kommen und der frostigen Umklammerung zu entgehen.
Harry saß im Sitzungszimmer der roten Zone des Präsidiums und lauschte Beate Lønns deprimierendem Bericht, wobei er versuchte, die Zeitungen zu ignorieren, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Der Mord prangte auf jeder Titelseite. Überall das körnige Bild des winterlich dunklen Egertorg. Mit Verweis auf zwei oder drei Seiten im Inneren der Zeitung. VG und Dagbladet hatten eine Geschichte zusammengebastelt, die auf ein paar zufälligen Gesprächen mit Freunden und Bekannten basierte und die man mit etwas Wohlwollen als Porträt von Robert Karlsen bezeichnen konnte. »Ein netter Kerl.« »Immer hilfsbereit.« »Tragisch.« Harry hatte alles aufs Genaueste studiert, ohne etwas Brauchbares zu finden. Keine der Zeitungen hatte Jons Eltern erreicht, und die Aftenposten war die einzige, die einen Kommentar von Jon ergattert hatte: »Unbegreiflich«, lautete das kurze Zitat unter dem Bild eines Jungen mit verwirrtem Gesichtsausdruck und zerzausten Haaren. Aufgenommen vor einem Haus in der Gøteborggata. Der Artikel stammte von einem alten Bekannten, Roger Gjendem.
Harry kratzte sich durch einen Riss in seiner Jeans am Oberschenkel und dachte, dass er die lange wollene Unterhose hätte anziehen sollen. Als er um halb acht zur Arbeit gekommen war, hatte er in Hagens Büro vorbeigeschaut und ihn gefragt, wer die Ermittlungen leiten sollte. Hagen hatte ihn angesehen und ihm geantwortet, er habe sich in Absprache mit dem Kriminalchef entschlossen,Harry die Leitung zu übertragen. Vorläufig. Harry hatte nicht um eine weitere Erklärung dieses Nachsatzes gebeten, sondern bloß genickt und den Raum wieder verlassen.
Seit zehn Uhr saßen jetzt die zwölf Beamten des Dezernats, plus Beate Lønn und Gunnar Hagen, der nur »alles verfolgen« wollte, zusammen.
Und Thea Nilsens Beschreibung der Situation traf noch immer zu.
Erstens hatten sie keine Zeugen. Keine der Personen, die sich auf dem Egertorg befunden hatten, konnte etwas Nützliches beisteuern. Die Filme der umliegenden Überwachungskameras wurden noch gecheckt, hatten bis jetzt aber nichts ergeben. Keinem Angestellten der Geschäfte und Restaurants auf der Karl Johans gate war etwas Besonderes aufgefallen, und es hatten sich auch keine weiteren Zeugen gemeldet. Beate hatte spätabends noch die Fotos erhalten, die das Dagbladet vom Publikum geschossen hatte, musste jedoch berichten, dass es sich dabei entweder um Nahaufnahmen von glücklich lächelnden Teenagermädchen handelte oder um Übersichtsbilder, die zu grobkörnig waren, als dass man die einzelnen Gesichter wirklich hätte erkennen können. Sie hatte die Ausschnitte vergrößert, die die Menschen vor Robert Karlsen zeigten, hatte aber keine Waffe oder etwas anderes erkennen können, womit die Person, nach der sie suchten, identifiziert werden konnte.
Zweitens hatten sie keine Spuren, abgesehen von der Bestätigung des Ballistik-Experten, dass das Projektil, das Robert Karlsen durch den Kopf geschossen worden war, tatsächlich zu der Geschosshülse passte, die sie gefunden hatten.
Und drittens hatten sie kein Motiv.
Beate Lønn kam zum Ende, und Harry erteilte Magnus Skarre das Wort.
»Heute Morgen habe ich mit dem Chef des Fretex-Ladens im Kirkevei gesprochen, in dem Robert Karlsen gearbeitet hat«, sagte Skarre. » Er war völlig am Boden zerstört und sagte, Robert hätten alle gemocht, er sei charmant und immer gut gelaunt gewesen. Auch wenn er manchmal ausbrach. Mal den ein oder anderen Tag einfach nicht kam und so was. Aber sie konnten sich nicht vorstellen, dass er Feinde hatte.«
»Ich hab das Gleiche über ihn gehört«, bestätigte Halvorsen. Gunnar Hagen hatte während der ganzen Sitzung die Hände im Nacken verschränkt und sah Harry mit einem erwartungsvollen Lächeln an, als sei er Zuschauer einer Zaubershow, der darauf wartete,
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