Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
Vom Netzwerk:
dass Harry endlich das Kaninchen aus dem Hut zog. Bloß dass es kein Kaninchen gab. Nur die üblichen Bewohner. Die Theorien.
    »Irgendwelche Ideen?«, fragte Harry laut. »Kommt, das ist jetzt die Gelegenheit, wilde Spekulationen anzustellen, wenn die Sitzung erst rum ist, kann ich euch das nicht mehr durchgehen lassen.«
    »Niedergeschossen in aller Öffentlichkeit, und das mitten am Tag«, sagte Skarre. »Es gibt doch nur eine Branche, in der man so vorgeht. Eine professionell ausgeführte Hinrichtung, um alle anderen abzuschrecken und zu warnen, die ihre Drogenschulden nicht bezahlt haben.«
    »Na ja«, sagte Harry. »Keiner unserer Fahnder in der Drogenszene hat je von einem Robert Karlsen gehört. Der ist sauber, keine Akte, nichts. Hat einer von euch jemals etwas von einem Drogenabhängigen ohne Geld gehört, der noch nie eingesessen hat?«
    »Die Gerichtsmedizin hat nicht die geringste Spur einer illegalen Substanz in seinem Blut gefunden«, ergänzte Beate. »Und hat auch keine Einstichspuren von Injektionsnadeln oder Ähnliches erwähnt.«
    Hagen räusperte sich und die anderen wandten sich ihm zu: »Ein Soldat der Heilsarmee hat mit so etwas natürlich nichts zu tun. Machen Sie weiter.«
    Harry sah, dass Magnus Skarre rote Flecken auf der Stirn bekam. Skarre war ein kleiner, gedrungener Kerl, ein ehemaliger Kunstturner mit glatten braunen Haaren und Seitenscheitel. Er war einer der jüngsten Ermittler, ein arroganter und ehrgeiziger Schleimer, der in vielerlei Hinsicht an einen jungen Tom Waaler denken ließ. Aber ohne Waalers besondere Intelligenz und seine Begabung für den Polizeidienst. Im Laufe des letzten Jahres hatte Skarres Selbstvertrauen jedoch deutliche Risse bekommen, und Harry glaubte, dass vielleicht doch noch einmal ein brauchbarer Polizist aus ihm werden konnte.
    »Andererseits war Robert Karlsen durchaus experimentell veranlagt«,sagte Harry. »Und wir wissen, dass in Fretex-Läden auch Abhängige ihre Strafen abarbeiten. Neugier und Gelegenheit sind eine üble Kombination.«
    »Genau«, krächzte Skarre. »Und als ich die Frau im Fretex gefragt habe, ob Robert Single ist, bejahte sie. Obwohl da schon öfter ein jüngeres Mädchen nach ihm gefragt hat. Die hätte aber zu jung gewirkt. Sie meinte, dieses Mädchen stammt irgendwo aus Jugoslawien. Ich könnte wetten, dass die aus dem Kosovo kommt.«
    »Warum?«, fragte Hagen.
    »Kosovo-Albaner. Drogen, oder?«
    »Moment mal«, dozierte Hagen und wippte mit dem Stuhl. »Das hört sich jetzt aber nach gewaltigen Vorurteilen an, junger Mann.«
    »Richtig«, sagte Harry. »Und unsere Vorurteile lösen Fälle. Weil sie nicht auf mangelndem Wissen beruhen, sondern auf trockenen Fakten und Erfahrung. In diesem Raum behalten wir uns deshalb vor, alle zu diskriminieren, ohne Rücksicht auf Rasse, Religion oder Geschlecht. Unsere einzige Rechtfertigung ist, dass nicht immer nur die Schwächsten diskriminiert werden.«
    Halvorsen grinste. Diese Regel hatte er schon einmal gehört.
    »Homosexuelle, religiös aktive Menschen und Frauen sind statistisch gesehen gesetzestreuer als heterosexuelle Männer zwischen 18 und 60. Aber hast du eine Frau, die homosexuell, dezidiert religiös und aus dem Kosovo ist, ist die Chance, dass sie Drogen dealt, trotzdem deutlich größer als bei einem fetten, Norwegisch redenden Rocker mit tätowierter Stirn. Wenn wir uns also entscheiden müssen – und das müssen wir–, laden wir zuerst die Albanerin vor. Ungerecht gegenüber gesetzestreuen Kosovo-Albanern? Mag sein. Aber da wir mit Wahrscheinlichkeiten und begrenzten Ressourcen arbeiten müssen, erlauben wir uns nicht den Luxus, auf das Wissen zu verzichten, das wir nun einmal haben. Würde uns unsere Erfahrung lehren, dass bei den Zollkontrollen in Gardermoen überdurchschnittlich viele Rollstuhlfahrer mit Drogen in ihren Körperöffnungen geschnappt werden, würden wir auch sie aus ihren Stühlen zerren, Gummihandschuhe anziehen und es jedem von ihnen mit dem Finger besorgen. Wir reden nur nicht darüber, wenn wir es mit der Presse zu tun haben.«
    »Interessante Philosophie, Hole.« Hagen sah sich um, um die Reaktionender anderen zu überprüfen, doch die verschlossenen Gesichter verrieten nichts. »Aber zurück zur Sache.«
    »Okay«, sagte Harry. »Wir machen da weiter, wo wir mit der Suche nach der Tatwaffe aufgehört haben, dehnen das Suchgebiet aber auf sechs Blocks aus. Wir verhören weiter die Zeugen und machen die Runde durch alle Geschäfte, die gestern

Weitere Kostenlose Bücher