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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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Tierarzt stellte fest, dass der Hund Zahnweh hatte und dass er kein Zahnarzt sei. Außerdem wollte er wissen, wer denn für die Behandlung eines alten, herrenlosen Hundes aufkommen sollte, der ohnehin bald auch noch seine restlichen Zähne verlieren würde? Es sei besser, den Hund jetzt auf der Stelle einzuschläfern, so dass ihm die Schmerzen und der langsame Hungertod erspart blieben. Doch da begann Giorgi zu weinen. Ein helles, herzzerreißendes, beinahe melodisches Weinen. Und als ihn der Tierarzt fragte, warum er denn weine, sagte Giorgi, dass der Hund vielleicht Jesus sei, denn das hätte sein Vater gesagt: Jesus wandele als einer der Geringsten unter uns, ja, vielleicht sogar als ein jämmerlicher, armer Hund, dem niemand Obdach oder etwas zu essen gewähren wollte. Der Tierarzt rief kopfschüttelnd den Zahnarzt an. Nach der Schule kamen er und Giorgi zurück und fanden einen schwanzwedelnden Tinto vor, und der Tierarzt zeigte ihnen die vier schwarzen Füllungen im Maul des Hundes.
    Obwohl Giorgi eine Klasse über ihm war, spielten sie danach ein paarmal miteinander. Aber das dauerte nur wenige Wochen, denn dann begannen die Sommerferien. Und als im Herbst die Schule wieder begann, schien Giorgi ihn vergessen zu haben. Auf jeden Fall übersah er ihn, als wollte er nichts mehr mit ihm zu tun haben.
    Er vergaß Tinto, nicht aber Giorgi. Vier Jahre später stieß er währendder Belagerung in den Ruinen am Südende der Stadt auf einen abgemagerten Hund. Der Hund lief zu ihm und leckte ihm das Gesicht. Er trug kein Halsband mehr, und erst als er die schwarzen Füllungen bemerkte, wurde ihm klar, dass es Tinto sein musste.
     
    Er sah auf die Uhr. In zehn Minuten sollte der Bus zum Flughafen kommen. Er nahm den Koffer und warf einen letzten Blick ins Zimmer, um sich zu vergewissern, dass er nichts vergessen hatte. Papier raschelte, als er die Tür öffnete. Draußen lag eine Zeitung auf dem Boden. Er blickte über den Flur und bemerkte, dass vor jeder Tür eine Ausgabe lag. Ein Bild vom Tatort sprang ihm von der Titelseite entgegen. Er bückte sich und hob die dicke Zeitung auf. Sie hatte einen unleserlichen Namen in gotischen Buchstaben.
    Während er auf den Aufzug wartete, warf er einen Blick auf die erste Seite, doch obwohl ihn manche Worte an Deutsch erinnerten, verstand er wenig bis gar nichts. Er gab es auf, blätterte die Zeitung aber trotzdem bis zu den Seiten im Inneren durch, auf die die Titelseite verwies. Im gleichen Moment öffneten sich die Türen des Aufzugs, und er beschloss, das unhandliche Blatt in den Mülleimer zwischen den Aufzugtüren zu werfen. Aber der Aufzug war leer, so dass er es schließlich doch mit hineinnahm, die Null drückte und sich auf die Bilder konzentrierte – und die Bildunterschriften. Zuerst glaubte er nicht, was dort stand. Doch als sich der Aufzug in Bewegung setzte, wurde es zu einer schrecklichen Gewissheit. Ihm wurde für einen Augenblick schwarz vor Augen, und er musste sich an die Wand stützen. Die Zeitung wäre ihm beinahe aus den Händen gerutscht, und er bemerkte es gar nicht, als die Türen wieder aufgingen.
    Als er endlich den Blick hob, starrte er in die Dunkelheit und begriff, dass er im Keller gelandet war und nicht an der Rezeption, die in diesem Land aus irgendeinem Grund in der ersten Etage war.
    Er trat aus dem Aufzug und ließ die Türen hinter sich zugleiten. Dann hockte er sich ins Dunkel und versuchte nachzudenken. Denn das stellte alles auf den Kopf. In acht Minuten sollte der Bus zum Flughafen fahren. So viel Zeit blieb ihm noch, um einen Entschluss zu fassen.
     
    *
     
    » Ich versuche mir hier ein paar Bilder anzusehen«, sagte Harry resigniert.
    Halvorsen blickte von seinem Schreibtisch auf, der direkt gegenüber von Harrys stand. »Nur zu. «
    »Könntest du dann vielleicht mit diesem Schnipsen aufhören? Was soll das eigentlich?«
    »Das hier?« Halvorsen blickte auf seine Finger, schnipste noch einmal und lachte verlegen. »Och, nur so eine alte Angewohnheit.«
    »Ach ja?«
    »Mein Vater war Fan von Lew Jaschin, diesem russischen Keeper aus den Sechzigern.«
    Harry wartete auf eine Fortsetzung.
    »Mein Vater wollte, dass ich Torwart in Steinkjer werde. Deshalb hat er mir, als ich klein war, immer mit den Fingern vor den Augen rumgeschnipst. So. Um mich abzuhärten, damit ich keine Angst vor den Schüssen hatte. Der Vater von Jaschin soll das Gleiche getan haben. Wenn es mir gelang, nicht mit den Lidern zu zucken, kriegte ich ein Stück

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