Der Erl�ser
machte der enttäuschten Nachbarin die Tür vor der Nase zu. »Ich habe leider schlechte Nachrichten für Sie. Vielleicht sollten Sie sich lieber setzen.«
Sie nahmen am Wohnzimmertisch Platz. Als der Polizist berichtete, was geschehen war, fühlte sich Jon, als würde er einen Schlag in den Magen bekommen, und beugte reflexartig den Oberkörper vor.
»Tot?«, hörte er Thea hauchen. »Robert?«
Der Polizist räusperte sich und fuhr fort. Seine Worte trafen Jon wie dunkle, kryptische, beinahe unverständliche Laute. Die ganze Zeit, während der Kommissar ihm die näheren Umstände erläuterte, ruhte Jons Blick auf einem einzigen Punkt. Auf Theas halb geöffnetem Mund, ihren glänzenden, feuchten, roten Lippen. Ihr Atem ging schnell und heftig. Erst als er ihre Stimme hörte, merkte er, dass der Polizist nicht mehr sprach:
»Jon? Er hat dich etwas gefragt.«
»Entschuldigung. Ich … Was wollen Sie wissen?«
»Ich weiß, dass das jetzt schwer für Sie ist, aber ich frage mich, ob Sie wohl eine Idee haben, wer Ihrem Bruder nach dem Leben getrachtet haben könnte.«
»Robert?« Ihm war fast so, als liefe alles in Zeitlupe ab, sogar sein eigenes Kopfschütteln.
»Tja dann«, sagte der Polizist, ohne etwas auf seinem Block zu notieren. » Gab es etwas in seiner Arbeit oder in seinem Privatleben, womit er sich Feinde hätte machen können?«
Obwohl es in dieser Situation völlig fehl am Platz war, hörte Jon sich lachen. »Robert ist in der Heilsarmee«, sagte er. »Unser Feind ist die Armut. Die materielle wie die seelische. Dafür bringt man uns nur selten um. «
»Hm, so viel also zur Arbeit. Wie sah es denn mit seinem Privatleben aus?«
»Was ich gesagt habe, gilt für Arbeit und Privatleben.« Der Polizist wartete.
»Robert war nett«, sagte Jon und spürte, wie langsam seine Stimme zu versagen begann. »Loyal. Alle mochten ihn. Er « Seine Stimme war nur noch Brei.
Der Blick des Polizisten schweifte durch den Raum. Ihm schien die Situation auch nicht zu behagen, aber er wartete. Und wartete.
Jon schluckte und schluckte. »Er konnte manchmal etwas wild sein. Etwas … impulsiv. Und einige waren vielleicht der Meinung,er höre sich mitunter etwas zynisch an. Aber das war bloß seine Art. Im Grunde war Robert ein ganz harmloser Junge.«
Der Polizist wandte sich an Thea und blickte auf seinen Block. »Sie sind Thea Nilsen, die Schwester von Rikard Nilsen, wenn ich das richtig verstanden habe. Stimmt das mit Ihrer Einschätzung von Robert Karlsen überein?«
Thea zuckte mit den Schultern. »Ich habe Robert nicht so gut gekannt. Er « Sie hatte die Arme verschränkt und wich Jons Blick aus. »Soweit ich weiß, hat er niemals einem Menschen wehgetan.«
»Hat Robert irgendetwas erwähnt, was auf einen Konflikt hindeuten könnte?«
Jon schüttelte heftig den Kopf, als gäbe es tief in seinem Innersten etwas, das er loswerden wollte. Robert war tot. Tot. »Schuldete Robert jemand Geld?«
»Nein. Doch, mir. Ein bisschen.«
»Sind Sie sicher, dass er nicht auch bei anderen Schulden hatte?« »Wie meinen Sie das?«
»Nahm Robert Drogen?«
Jon starrte den Polizisten entgeistert an, ehe er antwortete: »Absolut nicht.«
»Wie können Sie sich da so sicher sein? Es ist nicht immer so « »Wir arbeiten mit Drogensüchtigen. Wir kennen die Symptome. Und Robert nahm keine Drogen. In Ordnung?«
Der Polizist nickte und machte sich Notizen. »Es tut mir leid, aber wir müssen das fragen. Wir können auch nicht ausschließen, dass es die Tat eines Geisteskranken war und Robert nur sein zufälliges Opfer. Oder dass der Mord sich gegen Ihre Organisation richtet. Ich meine – ein Soldat der Heilsarmee neben dem weihnachtlichen Suppenkessel auf dem Egertorg – das ist nun wirklich symbolträchtig. Ist Ihnen irgendetwas bekannt, was diese Theorie stützen könnte?«
Wie auf ein Signal schüttelten beide synchron die Köpfe.
»Danke für Ihre Hilfe.« Der Polizist steckte den Notizblock in die Manteltasche und erhob sich. »Wir haben bis jetzt weder die Telefonnummer noch die Adresse Ihrer Eltern ermitteln können «
»Ich kümmere mich darum«, sagte Jon, während er leer vor sich hin starrte. »Sind Sie denn ganz sicher?«
»Sicher bei was?«
»Dass es Robert ist?«
»Ja, es tut mir leid.«
»Aber das ist auch das Einzige, dessen Sie sicher sind«, sagte Thea plötzlich. »Ansonsten wissen Sie nichts.«
Der Polizist blieb in der Tür stehen und dachte nach.
»Ich glaube, das beschreibt die Situation sehr
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