Der Erl�ser
Doch da schlief er bereits.
Zwanzig Minuten später klingelte das Telefon wieder. Er schlug die Augen auf und fluchte. Stolperte fröstelnd in den Flur und nahm den Hörer ab.
»Rede, aber leise.«
»Harry?«
»Kann sein. Was gibt’s, Halvorsen?« »Es ist etwas geschehen.«
»Etwas oder viel?«
»Viel.«
»Scheiße.«
KAPITEL 15
Nacht auf Freitag, 18. Dezember. Der Anschlag
S ail stand zitternd auf dem Pfad am Akerselva. Zum Teufel mit diesem Albaner! Trotz der Kälte war der Fluss eisfrei, und das Schwarz des Wassers verstärkte das Dunkel unter der einfachen Eisenbrücke. Sail war sechzehn. Mit zwölf war er mit seiner Mutter aus Somalia gekommen, und zwei Jahre später hatte er begonnen, Hasch zu verkaufen. Seit letztem Frühling dealte er Heroin. Doch jetzt hatte ihn dieser Hux wieder versetzt, und er lief Gefahr, die ganze Nacht hier mit der Ware zu stehen, ohne etwas zu verkaufen. Zehn Null-einser. Wäre er schon achtzehn, hätte er auf die Plata gehen können, um sein Zeug dort unter die Leute zu bringen. Aber als Minderjähriger wurde man dort von der Polizei aufgegriffen. Ihr Territorium war hier unten am Fluss. Sie waren vor allem Jugendliche aus Somalia, und ihre Kunden waren entweder ebenfalls minderjährig, oder sie hatten andere Gründe, warum sie auf der Plata nicht gesehen werden wollten. Zum Teufel mit diesem Hux, er brauchte die Scheiß-Kronen echt dringend!
Ein Mann näherte sich über den Pfad. Das war auf keinen Fall Hux, denn der hinkte noch immer, nachdem er wegen gestreckter Amphetamine von der B-Gang in die Mangel genommen worden war. Als ob es allen Ernstes ungestreckte gäbe. Der Typ, der da kam, sah aber auch nicht wie ein Spitzel aus. Und sicher nicht wie ein Junkie, obwohl er dieselbe blaue Jacke trug. Sail sah sich um. Sie waren allein.
Als der Mann nah genug herangekommen war, trat Sail aus dem Schatten der Brücke. »Dope?«
Der Mann lächelte kurz, schüttelte den Kopf und wollte weitergehen. Aber Sail hatte ihm den Weg versperrt. Er war groß für seinAlter. Für jedes Alter. Und das Gleiche galt für sein Messer. Ein Rambo First Blood mit Hohlräumen für Kompass und Angelschnur. Es kostete im Army Shop an die tausend Kronen, aber er hatte es von einem Kumpel für dreihundert bekommen.
»Willst du kaufen oder bloß bezahlen?«, fragte Sail und hielt das Messer so, dass die gerillte Klinge das fahle Licht der Laterne reflektierte.
»Excuse me ? «
Ausländersprache. Nicht gerade Sails starke Seite.
»Money . « Sail hörte seine eigene Stimme lauter werden, er wurde immer so wütend, wenn er Leute ausnahm, er wusste auch nicht, warum. »Now!«
Der Ausländer nickte und hob beschwichtigend die linke Hand, während er die rechte langsam in seine Jacke schob. Dann fuhr seine Hand blitzschnell wieder in die Höhe. Sail konnte gar nicht mehr reagieren, er konnte nur noch »Scheiße« zischen, ehe er kapierte, dass er in die Mündung einer Pistole starrte. Am liebsten wäre er weggelaufen, aber das schwarze Metallauge schien ihn am Boden festgenagelt zu haben.
»Ich «, begann er.
»Run« , sagte der Mann. »Now.«
Und Sail rannte. Rannte, während ihm die kalte, feuchte Luft, die vom Fluss aufstieg, in den Lungen brannte und das Licht des Plaza Hotels und des Postgirobaus auf seiner Netzhaut auf und ab hüpfte. Er rannte bis zu der Stelle, wo der Fluss in den Fjord mündet, bis er nicht mehr konnte und am Zaun des Containerhafens hing und schrie, dass er sie eines Tages alle umbringen werde.
*
Eine Viertelstunde nachdem Harry von Halvorsen per Telefon geweckt worden war, hielt der Streifenwagen am Bürgersteig in der Sofies gate. Harry setzte sich neben Halvorsen auf den Rücksitz. Er brummte den uniformierten Kollegen auf den Vordersitzen einen Gruß zu.
Der Fahrer, ein großer Polizist mit verschlossenem Gesicht, fuhr ruhig los.
»Gib doch ein bisschen Gas«, sagte der blasse, picklige junge Mann, der auf dem Beifahrersitz saß.
»Wie viele sind wir?« Harry blinzelte auf seine Uhr.
»Zwei Wagen und dieser hier«, antwortete Halvorsen.
»Sechs plus zwei. Ich will kein Blaulicht, wir versuchen, das still und ruhig anzugehen. Wir zwei und ein bewaffneter Uniformierter kümmern uns um die Festnahme, die fünf anderen versperren die potenziellen Fluchtwege. Hast du eine Waffe?«
Halvorsen klopfte sich auf die Brusttasche.
»Gut, ich hab nämlich keine«, sagte Harry.
»Hast du die Sache mit dem Waffenschein noch immer nicht
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